Als ich einer Nicht-Lüneburgerin einmal vom Tiergartenlauf erzählte, kam sie aus dem Staunen gar nicht heraus und musste dann lachen: „Was, ihr lauft durch einen Zoo?“ Nein, das tun wir nicht. Wir laufen einfach nur durch das bei Joggern sehr populäre Waldgebiet namens Tiergarten, in dem ich an ruhigen Tagen ab und zu mal schon ein Reh gesehen habe. An jedem zweiten Sonntag im September verlassen die Tiere aber panisch ihren Garten, denn dann veranstalten bunt gekleidete Menschen ihre Stampede namens Tiergartenlauf. Und ich mal wieder mittendrin.
Selbst- und Fremdbild eines Läufers fallen ja nicht immer unbedingt deckungsgleich aus. Fühle ich mich auf den ersten Kilometern eines Laufs noch wie eine Gazelle, mutiere ich doch spätestens auf dem letzten Drittel der Distanz zu diesem bekannten Tier mit dem Rüssel. Dabei können Elefanten eine Pace von 25 km/h erreichen, „drei besonders leichtfüßige Teilnehmer übertrafen diese Geschwindigkeit sogar“ – Zitat aus einer Studie eines Teams von der Stanford University.
Leichtfüßige Elefanten könnte ich also allenfalls mit dem Fahrrad abhängen. Dennoch meint unser Fotograf bei meiner Zielankunft: „Du siehst ja so locker aus. Hast du dich überhaupt angestrengt?“ Ja, ich habe mich angestrengt. Und: Nein, ich fühle mich gar nicht mehr locker.
Einige Tiere lassen sich aber schon beim Start blicken. Zum Beispiel hat Norbert einen ausgewachsenen Kater mitgebracht und gibt seinen Zeitmess-Chip, den er tags zuvor erst abgeholt hatte, vernünftigerweise wieder ab. Er will ja nicht nach ein paar Kilometern vor die Hunde gehen. Bunt wie ein Schwarm aufgeregter Papageien wirkt das Startfeld, das diesmal aber nur minusrekord-verdächtige 98 Aktive umfasst. Aber natürlich steht die lokale Elite meiner Altersklasse versammelt wie die hungrigen Geier an der Startlinie.
Nachdem ich im Vorjahr spektakulär eingegangen bin wie ein Pinguin in den Tropen, schlage ich zunächst einmal Schildkrötentempo an. Ich wähle meine Lastesel-Allzweckpace, zu schnell für einen Marathon, zu lahm für einen Halbmarathon. Erst passieren mich einige Frischlinge, auf der zweiten Runde schlage ich zurück – einmal pro Dekade scheine ich mein Tempo ja doch gut einzuteilen. Aber dann naht das Tier, das einfach in keiner Volkslauf-Reportage fehlen darf: der Schweinehund!
Aber das ist heute kein Rennen für Faultiere, sondern mein hochoffizieller Test für den Bremen-Marathon. Und ich weiß genau, dass meine doofe neue Uhr am Handgelenk die Pace für jeden Kilometer aufzeichnet. Ich entdecke noch einmal den leichtfüßigen Elefanten in mir, biege zwar nicht mit 25 km/h auf den Sportplatz ein, aber doch ratzfatz – jedenfalls im Vergleich zur Schnecke aus dem Vorjahr. Und bin fast exakt zwei Minuten schneller als damals. Stolz wie ein Pfau lasse ich mir eine Medaille umhängen.
Und nachdem ich mit meinem zirka 30-köpfigen Trainer- und Betreuerstab, diesen fleißigen Bienen, das Rennen durchanalysiert habe, steht fest: Abgesehen vom ersten waren meine letzten drei Kilometer diesmal wirklich die Schnellsten. Hab‘ ich mich überhaupt angestrengt? Auf den ersten 16 Kilometern offenbar doch nicht so sehr.
PS: Habe gerade die wirklich wunderhübsche Medaille des Bremen-Marathons bewundert. Und was ist drauf? Esel, Hund, Katze und Hahn! Darauf freu‘ ich mich schon tierisch.
Weitere Bilder und ein paar Zeilen zum Lauf sind online auf http://www.landeszeitung.de/sport/aktuelles/80729-34-betzendorfer-im-tiergarten
Ich sitze gerade als Lachmöwe vor dem Laptop 🙂
Liebe Grüße
Elke