Wem gehören die Straßen einer Stadt? Den Menschen, die dort leben oder arbeiten – vor allem aber den Menschen, die motorisiert von A nach B fahren. Einmal pro Jahr aber werden in vielen großen Städten Absperrschilder aufgestellt, der Verkehr wird für viele Stunden weiträumig umgeleitet. Einmal pro Jahr gehören die Straßen den Marathonis. Leuten, die ansonsten allenfalls geduldet sind an der Peripherie der Stadt, erobern den Asphalt zurück. Und das gefällt leider nicht jedem.
Am Sonntag ist es in Leipzig soweit. „Große Teile der City am Sonntag dicht: Leipzig Marathon führt zu Verkehrseinschränkungen“, vermeldet die LVZ. „Der Veranstalter, die Stadt Leipzig und die Polizeidirektion Leipzig haben das Verkehrskonzept intensiv abgestimmt, um die Einschränkungen so gering wie möglich zu halten. Dennoch ist von jedem Verkehrsteilnehmer an diesem Tag Geduld, Aufmerksamkeit und Verständnis gefragt“, teilt die Stadt mit. Verständnis zeigt aber nicht jeder Kommentator. Ein kleiner Auszug:
- Wir haben so ein schönes Umland, warum muss man den Marathon durch dichtbesiedeltes Gebiet machen und damit sämtliche Infrastruktur zum Erliegen bringen?
- Im Clara Park im Kreis laufen hätte es auch getan. Nein reicht nicht, lieber legen wir mal eine halbe Stadt verkehrstechnisch lahm.
- Die können ihre zehn Runden um das BMW Werk laufen, dort stört es keine Sau. Aber eine ganze Stadt jedes Jahr lahm legen. Es reicht Herr Jung. Sie fügen der Stadt immer wieder großen Schaden zu.
- Schön, das die Organisatoren auch dieses Jahr keine Mittel und Möglichkeiten geschont haben den maximal erreichbaren Verkehrseinschränkungs-/Störungserfolg feiern zu können!
- Wenn das Wetter datschenfreundlich ist bin ich sowieso wieder auf meiner Scholle und muß mir nicht die nahe am körperlichen Zusammenbruch befindlichen Gestalten zu Gemüte führen!
Nein, nicht jeder Leipziger muss Laufen toll finden. Nicht jeder muss es gut finden, wenn 10.000 Menschen gern gemeinsam etwas mitten in der Stadt unternehmen wollen. Nicht jeder muss den Anblick eines durchschnittlichen Marathonis bei Kilometer 38 lieben. Aber: Irgendwo durch einen Park laufen, das können wir jeden Tag. Ein City-Marathon ist untrennbar verbunden mit der Rückeroberung der City durch den unmotorisierten Zweibeiner. Der Hamburg-Marathon ohne die Landungsbrücken oder die Binnenalster, Berlin ohne die Zielgerade am Brandenburger Tor? Undenkbar.
Ich könnte ja auch anders argumentieren: Für das Vergnügen, mich dreieinhalb Stunden auf den Leipziger Straßen zu schinden, zahle ich meinen Obolus an örtliche Vereine. Ich verbinde den Lauf mit einem kleinen Urlaub, lasse wie viele andere Starter auch für Unterkunft und Verpflegung Geld in der Stadt – für zehn Runden um ein Werk würde ich definitiv nicht kommen. Und wenn es mir in Leipzig gefällt, dann erzähle ich das gern weiter oder komme gar wieder. Über den gesundheitlichen Wert von Ausdauersport für Körper und Seele müssen wir sicher auch nicht streiten.
Aber ich spekuliere doch lieber einfach auf die Toleranz der Einwohner. Die große Mehrheit hält es bestimmt einen Tag aus, dass die Straßen den Läufern gehören, schauen vielleicht sogar interessiert den Aktiven zu, die sich monatelang mehr oder weniger hart auf diesen einen Sonntag vorbereitet haben und die für ein paar Stunden die Komfortzone ihres Lebens ganz bewusst verlassen. 364 Tage dürft ihr dann wieder mehr oder weniger ungehindert von A nach B fahren. Wenn ihr es denn angesichts der täglichen Staus auch könnt.
Ich finde es super, dass du dich dem Thema widmest! Die Straße zurückerobern, das ist auch mein großes Lebensthema! Die von dir zitierten Kommentare sind hoffentlich nur eine winzig kleine Minderheit – hoffentlich!
Hallo Saffti,
wie sind die denn drauf in Leipzig…? Wenn der Marathon unter der Woche morgens um 8 wäre, oder in der Woche am Nachmittag, dann könnte ich den Unmut gut verstehen. Aber am Sonntag…? In anderen Städten ist so ein Lauf auch ein Ereignis, an dem die lokale Bevölkerung lebhaft teilnimmt, das als Aushängeschild der Stadt angesehen wird, das auch einen Wirtschaftsfaktor darstellt.
Ja nun, das scheint dort -zumindest bei einigen- anders anzukommen. Ich hoffe dennoch, dass Dir Dein Lauf dort Spaß machen wird und die Zahl der Zuschauer und Anfeuerer die Zahl der Kritiker weit überwiegt!
Guten Lauf und viel Spaß!
Liebe Grüße
Elke
Kommentarschreiber im Web bilden hoffentlich keine repräsentative Gruppe der Bevölkerung, da wird überall besonders gern gemeckert und gemosert (natürlich nicht auf dieser Seite…). Immerhin gibt’s mittlerweile auch ordentlich kontra, nachzulesen hier: http://www.lvz-online.de/leipzig/stadtteile/city-am-sonntag-dicht-leipzig-marathon-fuehrt-zu-verkehrseinschraenkungen/r-stadtteile-a-282825.html – ich habe es jedenfalls schon im Westen wie im Osten erlebt, dass ungeduldige Autofahrer die „Scheiß-Läufer“ beschimpft haben und bisweilen sogar unbedingt durch Straßensperren brausen wollten.
Egal, wo man etwas veranstaltet, es wird leider immer jemanden geben, der dagegen ist. Verlegt man so einen Lauf in die Landschaft, beschweren sich Naturschützer, Förster, Jäger…. ist er in der Stadt, beschweren sich Anwohner und Autofahrer. Da für manche Menschen es aber ein wichtiger Lebensinhalt ist, sich über andere aufzuregen, sind letztlich immer alle glücklich. 😀