Heute habe ich mal eine ganz exotische Laufrunde geschafft, die ich mir seit Ewigkeiten nicht mehr zugemutet habe. Dabei zeichnet sie eine überschaubare Länge und ein lauffreundlicher Untergrund aus, zudem ist sie flach wie ein Pfannkuchen und in der Regel frei von Walkern und Hunden. Der gravierende Nachteil dieser Runde: Wer sie nur einmal gemütlich läuft, kann es gleich sein lassen. Wo war ich? Auf der Laufbahn, natürlich.
Lange Jahre litt ich unter einer schweren Laufbahn-Allergie, die sich mit Schwindelgefühlen, unvermittelt auftretenden Wadenkrämpfen und akuter Leistungsverweigerung bemerkbar machte. Die Ursache dieser Allergie ist in meinem ebenso abwechslungsreichen wie motivierenden Schulsport-Erlebnissen zu finden. Wir mussten kleine Lederbälle werfen, möglichst weit in eine Sandgrube springen und, Gipfel der Quälerei, einen Sprint über 50 oder 75 Meter hinlegen. Natürlich, ohne dass uns der Lehrer jemals erklärte, wie man das am besten hinbekommt.
Werfen klappte bei mir halbwegs. Springen war schon schlecht. Sprinten aber, das war einfach eine Katastrophe. Da ging’s ja wenigstens nur um die Sportnote, die ich meist mit zwei, drei gelungenen Schmetterschlägen beim Volleyball aufpimpen konnte. Der Schrecken meiner Kindheit nannte sich aber „Bundesjugendspiele“, da musste man alle drei Disziplinen hinter sich bringen und dazwischen stundenlanges Anstehen in Riegen überstehen. Auf dem einzigen Sportplatz meiner Heimatgemeinde, der sich noch „Kampfbahn“ nannte und ebenso wirkte. Wie ich es jemals schaffte, eine Siegerurkunde zu erwerben (Ehrenurkunden mit der Unterschrift des Bundespräsidenten waren für mich so sehr außer Reichweite wie der Weltrekord über 100 Meter), ist mir heute noch ein Rätsel.
Selbstbeschimpfung in schwachen Momenten
Aber wat mutt, dat mutt, sagt der Norddeutsche. Und wer schneller werden will, muss einfach mal auf die Bahn und ein paar Intervalle schaffen. Jetzt sind in Niedersachsen die Sommerferien ausgebrochen, womit nicht mehr die Gefahr besteht, dass mich morgen Horden von Schülern und nachmittags die örtlichen Nachwuchs-Laufwunder demütigen. Also ab zum TSV Adendorf. Drei Handwerker machen sich an einem Stromkasten zu schaffen, suchen aber das Weite, als es anfängt zu nieseln.
Als es anfängt, richtig zu regnen, lege ich los. Training auf der Laufbahn hat ja den unschlagbaren Vorteil, dass man nicht über Äste stolpern kann, keine Kieselsteine in den Schuh geraten und man immer recht genau weiß, wie viele Meter man noch rennen muss. Der fiese Nachteil: Man kommt alle 400 Meter an seiner Tasche mit dem kühlen Getränk und der wärmenden Jacke vorbei, könnte jederzeit also das Training abbrechen. Zumal ich im Gegensatz zu Jan Ullrich weder gedopt habe, natürlich nur, um die Chancengleichheit wieder herzustellen, noch einen Edelhelfer Udo Bölts an der Seite habe, der mich mit charmanten Worten aufmuntert: „Quäl dich, du Sau!“ Selbstbeschimpfung in schwachen Momenten ist also angesagt.
Und die kommen so sicher wie der nächste Regenschauer in diesem „Sommer“, nur schneller. Die hohe Kunst des Intervalltrainings besteht ja zumindest für mich daraus, auf den letzten 100 Metern nicht nur einfach auszutrudeln, weil man eh nicht mehr kann, sondern das Tempo mindestens zu halten. Es beschädigt ja doch mein Selbstvertrauen, wenn wie zuletzt in Hohnstorf, grundsätzlich noch ein paar Typen im Endspurt an mir vorbeiziehen, weil ich halt keinen Endspurt kann. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, dass der Weltrekord über 400 Meter in etwa bei meinen 200-Meter-Zeiten liegt und der über 800 Meter in etwa bei den Zeiten, die ich über 400 Meter laufe. Erstens sind die Kerle 20 bis 30 Jahre jünger als ich, zweitens machen die tagein, tagaus nichts anderes als Sport und drittens mussten die bestimmt auch nicht auf morastigen Wegen nach Adendorf radeln.
Immerhin: Ich habe ich gegenüber dem letzten Training am Kanal wieder ein bisschen gesteigert. Auf der Laufbahn geht’s sicher etwas schneller, dafür hatte ich vorige Woche am Kanal natürlich darauf geachtet, bei den Tempoeinheiten den Wind im Rücken zu haben… Und es fällt mir nicht mehr so verdammt schwer, auf den letzten paar Metern nochmals etwas Gas zu geben. Der Zeitvergleich:
Letzte Woche am Kanal:
3 x 400 m (Sollzeit 1:32): 1:39, 1:39, 1:37.
3 x 600 m (Sollzeit 2:29): 2:37, 2:29, 2:27.
3 x 800 m (Sollzeit 3:25): 3:35, 3:31, 3:25.
Heute auf der Laufbahn:
4 x 200 m (Sollzeit 0:43): 0:44, 0:44, 0:46, 0:46.
4 x 400 m (Sollzeit 1:32): 1:37, 1:37, 1:37, 1:35.
4 x 600 m (Sollzeit 2:29): 2:31, 2:29, 2:27, 2:26.
Dreimal mach‘ ich mich noch zum Affen auf der Bahn, dann wartet der Zehner in Berlin auf mich. Wird auch Zeit! Wenn ich dort langsamer bin als die angepeilte Zeit von 44:59,99, werde ich wohl nie wieder eine solche Bahn betreten.