21. November 2024

Wasser hat doch Balken

Zwei Kinder flennen. Mutti schaut ratlos aus der komplett durchnässten Wäsche,  während der Vater schwer schuften muss, um den Kanadier an Land zu hieven. Das geht ja gut los. Keine 200 Meter entfernt vom Steg in Wichmannsburg ist für die erste Crew das Anpaddeln des Lüneburger Kanu-Clubs schon beendet, denn die Lütten wollen nur noch nach Hause ins Warme. Pressewartin Sabine Bahrnsen kentert an der gleichen Stelle mit ihrem Kajak – ein paar Bäume hängen keinen halben Meter über der Ilmenau, deren Wasserstand durchs Gewitter in der Nacht stark angestiegen ist. Oje! Jetzt weiß ich, dass die Warnung vorm Kentern nicht nur dahingesagt ist.

Gut, dass mein Partner im Zweierkajak Thomas Meyer-Enzl heißt. Der ist nicht nur ein versierter Slalom-Kanute, sondern angeblich auch wasserscheu, wird also hoffentlich besonders aufpassen. Vereinschef Wolfgang Klose hatte mir schon beim Verladen der Kanus am Bootshaus in Lüneburg unser Kanu gezeigt: Franzl 2, der Touring Express. Der Express könnte mit mir an Bord heute zu einem Bummelzug verkommen. Doch Thomas ist guten Mutes und weist mir den vorderen Platz zu: „Du musst nur paddeln. Um das Lenken kümmere ich mich.“

Gut zwei Dutzend Boote werden in Wichmannsburg ins Wasser gelassen – und kaum eins sieht wie aus das andere. Wolfgang, der Vereinschef, ist wie alle anderen hier sehr schnell beim Du. Und erwähnt, dass beim LKC wirklich jeder ein Boot für seine Zwecke finden kann. Wendige Flitzer für den Slalom, Raketen fürs Tempo oder gemütliche Kanus fürs Wandern. „Die Leistungskanuten trainieren auch im Winter“, sagt Wolfgang grinsend „aber heute treffen sich vor allem die Schönwetterpaddler.“

Der Jüngste ist drei Jahre alt, der Älteste achtzig – und gerade die Silberrücken sehen durchweg fit und drahtig aus, durchpflügen wuchtig die ohnehin schon unruhige Ilmenau. Ich teste dagegen erst einmal vorsichtig, wie sich das Paddel am besten ins Wasser setzen lässt, um wenigstens ein bisschen in einen Rhythmus zu kommen. Tropfringe zwischen Griff und Paddelende sollen mich vor der Durchnässung schützen, ebenso wie die Spritzdecke, die ich wie eine Regenhose über mich gestülpt habe.

Nach ein paar Kilometern ist mein linker Arm aber schon klatschnass von den Fingern bis zum Ellenbogen. Und die Oberarme beginnen schon schwer zu werden, während Thomas von einer Wesertour ab Hann. Münden bis Hameln, weit über hundert Kilometer lang, zu schwärmen beginnt. Wie schafft man das nur, ohne dass der Bizeps explodiert? „Du solltest nicht nur mit den Armen paddeln, sondern auch aus den Schultern heraus“, rät mir Thomas. Und er prophezeit mir: „Morgen wirst du vor allem die Muskeln merken, die Belastung nicht so sehr gewohnt sind.“ Um es vorwegzunehmen: Bei mir ist‘s die Brustmuskulatur – sollte ich mein Glück also mal mit ein paar mehr als drei Liegestütze pro Jahr probieren?

Wenn nicht gerade wieder Bäume oder Sträucher im Weg hängen und für Strudel sorgen, können wir auch wunderbar entspannen, uns unterhalten und die Natur genießen. Von einem Kanu aus betrachtet, sieht selbst Bienenbüttel idyllisch aus. Zwei Pferde beäugen uns neugierig, Stockenten nehmen dagegen Reißaus – von Kanuten erwarten sie offenbar keine Brotspenden. „In Südfrankreich gibt es Schluchten, die niemand zu Fuß durchqueren kann“, erwähnt Thomas. Die Gegend zwischen Bienenbüttel und Melbeck bietet zwar keine Schluchten, aber immerhin einen Skulpturenpfad, ein paar Jogger und Graugänse am Ufer sowie einen Greifvogel am Himmel an, der exakt über uns seine Kreise zieht. Der hat doch nicht etwa Hunger auf Kanuten?

>Nein, wir kommen wohlbehalten an. Und ich erinnere mich gerade noch rechtzeitig an die Worte von Wolfgang: „Die meisten kentern beim Ein- oder Aussteigen.“ Eleganz sieht anders aus, aber ich betrete festes Land heil und halbwegs trocken. Einen Augenblick lang bin ich fast stolz auf mich – bis einer der Oldies Schwung nimmt und mitsamt Boot in einem Rutsch den Steg bezwingt. Oller Angeber! Andererseits: Wer kann schon weit jenseits des 70. Geburtstags noch so gekonnt posen?

Beitragsbild: Philipp Schulze

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