Weniger laufen und trotzdem schneller werden? Seine Gelenke schonen und trotzdem fitter werden? Solche Versprechungen lassen bei mir eigentlich die roten Lampen leuchten. Erst recht Sätze wie „Laufen macht Sie zu dem Menschen, der Sie sein wollen“. Laufen als Religionsersatz? Klar, dass es um „Die Laufbibel“ von Dr. Matthias Marquardt geht. Ein Buch, das mir nach gewissen Anlaufproblemen (haha!) wirklich sehr gut gefallen hat.
Ich hätte mir dieses Buch nie besorgen sollen.
Ehrlich, die Laufbibel lässt sich nur auf zwei Arten lesen. Entweder blättert man ein bisschen in dem Werk herum, merkt sich den einen oder anderen Tipp und hält den Rest für übertrieben. Oder man lässt sich wirklich darauf ein. Und dann, ich spreche aus Erfahrung, wird wirklich die ganze Routine hinterfragt. Mehr oder weniger gedankenloses Kilometer-Abspulen gibt es bei Marquardt nicht.
Er verlangt einiges vom Leser. In der Einführung bekommen wir Läufer noch Honig ums Maul geschmiert, weil wir noch einmal nachlesen können, warum unser Sport so toll für Körper, Geist und Seele ist – wenn man ihn denn richtig ausübt. Richtig, das heißt bei Marquardt natural running. Natürliches Herumgerenne, das uns schnell macht und vor Verletzungen schützt.
Die richtige Arbeit beginnt schon mit Kapitel 2. Lauftechnik – wer macht sich schon noch Gedanken über Fußaufsatz, Hüftstreckung oder Kniehub? Ich mach‘ mir zumindest keinen Kopf mehr darum, dass ich meine Hände beim Lauf so hoch halte wie manche äthiopische Marathonläuferin. Da habe ich unbewusst tatsächlich mal etwas richtig gemacht. Aber das Vokuhila-Prinzip muss ich mir erst einmal aneignen, damit ich die 100 Meter vielleicht mal irgendwann in weniger als einer Minute sprinten kann. Kurzum: anspruchsvoller Stoff, der ohne Kontrollmöglichkeiten, etwa über Videoanalysen, kaum verdaulich ist.
Weniger laufen, mehr erreichen
Die Kapitel über Trainingssteuerung und Trainingsplanung bieten alle möglichen Erkenntnisse zu Themen wie Superkompensation oder Zyklisierung, die nicht wirklich neue Erkenntnisse bringen, aber vielen Läufern trotzdem mal sehr ans Herz gelegt werden sollten. Wirklich spannend sind dann aber die Grundlagen des Athletiktrainings und das Natural-runnig-Trainingssystem. „Weniger laufen, mehr erreichen“, heißt ein Prinzip der Trainingspläne, die allerdings mit viel Athletiktraining angereichert sind. KKS (Koordination, Kraft, Stretching) für Anfänger, dazu noch Rumpfstabilisation und Lauf-ABC für ambitioniertere Sportler. Viele Übungen also, die viele von uns notorisch vernachlässigen oder nie kennengelernt haben. Marquardt erklärt detalliert und überzeugend, warum man diese Ignoranz überwinden sollte. Ich habe es mir seit kurzem auch zum Prinzip gemacht, lieber mal eine Viertelstunde kürzer zu laufen und diese Zeit in andere Übungen zu investieren, auch wenn ich mir für Seitstützhampelmänner oder Käsekästchen immer noch gern ganz stille Winkel im Wald suche.
Viele der Übungen stellt Marquardt übrigens auch auf seiner Webseite vor. Unter dem Unterpunkt „Training“ erhält man einen guten Eindruck davon, was einen in der Laufbibel erwartet.
Weiter blättern wir durch die Kapitel Wettkampf, Regeneration und Ausgleichssport zu einem weiteren zentralen Punkt, dem Laufschuh. Und auf diesen Seiten macht Marquardt kein Geheimnis daraus, dass er von Schuhen mit allzu großzügiger Dämpfung oder Stützen sowie vor zu hohen Absätzen herzlich wenig hält. Barfuß über lockere Waldböden – das ist für ihn der Idealzustand, den er mit Fußtrainern ohne Dämpfung, Stützen und Fersensprengung nachzuahmen versucht. „Kein Schuh der Welt kann Ihren Fuß verbessern“, betont der Autor. Wer seine Tipps und Empfehlungen beherzigt, wird sich bei der Schuhberatung im Sportgeschäft sicher nie mehr blind den erstbesten, mit viel zu viel Schnickschack hochgerüsteten Schuh andrehen lassen.
Dem Verletzungsmanagement widmet Marquardt auch noch gut 50 Seiten, also ein Zehntel des Buchs, mit zahlreichen Fallbeispielen. Das ersetzt im Zweifelsfall zwar nicht den Gang zum Arzt, wirkt häufig aber schon vorbeugend. Die Trainingspläne zum Abschluss sind zwar sehr detailliert, aber doch eher als Beispiele anzusehen. So enthält das Buch nur einen Marathonplan mit einer Zielzeit von 4:00 Stunden, viele weitere Pläne für alle möglichen Distanzen finden sich aber auf der Webseite. Mir gefallen die Marathonpläne auf den ersten Blick nicht unbedingt, weil mir zum Teil wirklich zu wenig oder auch zu schnell gelaufen wird. Aber das schaue ich mir gern noch näher an.
Fazit: Der Glaube zählt. Wer diese Laufbibel ernst nimmt – und ich neige dazu, sie sehr ernst zu nehmen -, der wird seine komplette Einstellung zum Sport überdenken.
Wer sollte dieses Buch lesen? Läufer, die für Neues offen sind und/oder die ihre ständigen Wehwehchen einfach leid sind.
Wer nicht? Einsteiger (für diese gibt es eine Extra-Laufbibel), Leser mit einer Allergie gegen Lehrbücher.
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