13. November 2025

Jetzt bin ich auch ein Crossnerd

Wenn der Lauf nicht dein Freund war, dann war er dein Lehrer, hat irgendein Philosoph in kurzen Hosen mal geäußert. Und wenn ich den LüneCross mit etwas mehr Demut angegangen wäre und mit etwas weniger Blauäugigkeit, dann hätte ich jetzt nicht so viel zu erzählten. Aber immerhin: Jetzt bin ich ein Crossläufer! Der Weg dahin war allerdings durchaus steinig. Streckenweise im wahrsten Sinne des Wortes.

Crosslauf, das war für mich bisher immer die nerdigste Art, sich in Laufschuhen fortzubewegen. Bisher kannte ich ja nur die Berichte, die an die Zeitung geschickt wurden. Da fahren zum Beispiel ein paar Vereinsmeier zu Landesmeisterschaften ins tiefste Emsland, nehmen stundenlange Staus auf der A1 gleichmütig hin, um dann 20 Minuten über einen Acker zu rennen und sich dabei über ein paar Heuballen zu quälen. (Ich fuhr in meinen jungen Jahren mal von Göttingen aus zu einer Meisterschaft nach Lübeck, um dort zweimal 100 Meter zu schwimmen. Einmal wurde ich wegen Frühstarts disqualifiziert. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes.)

Nun bin ich nicht ins Emsland gejuckelt, sondern nur nach Lüneburg, um bei der Premiere des LüneCross im Hanseviertel dabei zu sein. Einige wollen den Kurs inspizieren. „Wir laufen doch sechs Runden. Da lerne ich die Strecke auf der erste Runde doch früh genug kennen“, entgegne ich. Draußen ist es kalt und diesig, und es nieselt. In der Sporthalle ist es schön mollig und trocken. Irgendwann muss ich aber doch an die allzu frische Luft. Ein Mannschaftsbild mit den Düvelsbrook Dynamics. Und ein weiteres mit der Oberbürgermeisterin, die kurz darauf auch die Startsirene betätigt, ehe sie zum nächsten wichtigen Termin radelt. Was kann aber nur wichtiger sein als dieser Lauf?

Da hüpfe ich noch lässig über den Stamm. Muss in der ersten Runde aufgenommen worden sein. Fotograf Pascal Schaar – https://pascal.photos

Gefühlte zwei Sekunden später rutsche ich fast schon in einer großen Pfütze aus, der wirklich einzigen auf dem gesamten Terrain. Es folgen: ein Waldstück mit vielen fiesen Wurzeln, eine von vielen engen Kurven, ein rutschiger Abgrund (bestimmt drei Meter lang und 75 Zentimeter tief), eine Steinstufe hoch, eine runter, eine irgendwann wieder hoch, ein paar Heuballen (aus dem Emsland importiert?), ein Baumstämmchen auf der Strecke, ein sich ewig dahinziehender Schlussanstieg. Und dann alles wieder von vorn. Sechsmal.

Ich renne los wie bei einem gewöhnlichen Wald- und Wiesenvolkslauf. Und das ist ein großer Fehler. Denn alle paar Meter muss ich wegen irgendeiner natürlichen oder künstlichen Schikane wieder stoppen, den Rhythmus neu finden. Und vor allem: bloß nicht über ein Hindernis oder gar die eigenen Füße stolpern. Mit Schuhgröße 47,5 bin ich in dieser Disziplin eindeutig benachteiligt.

Nach einer Runde bin ich tief im roten Bereich. Zu schnell angegangen? Zu ungewohnte Bewegungsabläufe? Die falsche Tageszeit für mich? Das falsche Schuhwerk? Ich hatte einfach meine ältesten Latschen eingepackt. Das habe ich davon. Mein Puls rast, ist höher als neulich bei einem Berglauf, den ich ganz passabel hingekriegt habe. Ich schalte einen Gang zurück. Erst zieht Jens von den Dynamics an mir vorbei, später Jeanette. Mein Nachbar von der Sparkasse, dem ich ein spannendes Rennen liefern wollte, ist schon längst über alle Berge. Der ist aber auch ein paar Jahrzehnte jünger als ich und hat als Basketballer viel längere Beine. Wenn der einen Schritt macht, brauche ich viereinhalb.

Sechs Runden, sechsmal Stolpergefahr an dieser Stelle. Fotograf Pascal Schaar - https://pascal.photos

Die ersten zwei Läufer überrunden mich. Erst Dan, der spätere Sieger, dann Frank, der mich aufmunternd antippt. Positiv denken! Ich freue mich einfach, dass es mal wieder eine attraktive Laufveranstaltung in Lüneburg gibt. Und ich freue mich noch mehr nach Abschluss der vierten Runde, dass Dan und Frank mich nicht ein zweites Mal überrunden können. Bei Dan fehlt allerdings nicht viel.

Die letzte Runde wird wirklich hart. Ich hüpfe nicht mehr über die Heuballen, sondern laufe rechts vorbei. Über den Baumstamm, dessen Durchmesser sich innerhalb einer halben Stunde offenbar verdoppelt hat, wuchte ich mich noch irgendwie. Schlussanstieg. Ich torkle mehr ins Ziel, als dass ich laufe, erwische zwei unsichere Schritte nach der Zielankunft einen Bauzaun, an dem ich mich festkralle. Ohne Spaß: Es gab schon manchen Marathon, den ich deutlich lockerer beendet habe.

Mich betüdeln sofort ein paar Augenzeugen aus meinem Lauftreff, besorgen Getränke, Traubenzucker und hätten am liebsten noch zwei bis drei Sanitäter geholt, die sich aber gerade um eine kollabierte junge Frau kümmern. Ich sehe Jeanette, die auch recht blass aussieht. Ich höre von Martin, der mit starken Krämpfen ins Ziel humpelte. Alles erfahre Leute, die schon zig Volksläufe souverän überstanden haben. Aber Cross ist definitiv etwas anderes.

Eine heiße Dusche, Kuchen, Kaffee – schon sieht die Welt wieder anders aus. Und irgendwie hatte ich ja auch meinen Spaß, was vor allem an den vielen netten Mitläufern, Helfern und Zuschauern lag. Nun bin ich also auch ein Crossnerd. Naja, nicht so ganz. Ich hatte mich wie üblich nicht für meinen eingetragenen Verein angemeldet, sondern für meinen wilden Lauftreff. Also konnte ich auch nicht Kreismeister werden. Ich wäre es sonst geworden: als erster und einziger Finisher meiner Altersklasse.

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