Ich weiß nicht mehr, was ich an diesem 25. Oktober 2009 angezogen hatte. Kurz oder lang? Mütze oder Tuch? Ich finde keine Fotos mehr von mir – ich glaube, es existierte auch nie eins. Aber ich weiß ganz genau, was ich an diesem Sonntag getan habe. Lübeck-Marathon, der zweite in der Hansestadt, auch mein zweiter nach dem Desaster auf Mallorca. Und definitiv einer meiner schönsten. Versuch einer Rekonstruktion…
Das liebe ich an Wettkämpfen, vor allem an den Marathon-Läufen. Diese 42,195 Kilometer fräsen sich immer wieder ins Gedächtnis ein. Große Gefühle. Man erlebt so viele Höhen und Tiefen, an die man sich viele Jahre später noch erinnern kann. Was fällt mir noch zu Lübeck ein? Ich muss es notieren, bevor ich allzu tatterig werde.
Ich hatte für zwei Nächte eine Ferienwohnung angemietet, die nur ein paar hundert Meter vom Start vor historischen Rathaus entfernt ist. Am Samstag hatte es junge Hunde geregnet. Wohin nur mit meiner Nervosität? Die Stadt, die Schauplatz meiner Examensarbeit war (Geschichte, Mittelalter, Der Sechziger-Ausschuss von 1405), ließ sich nicht erwandern. Und nachts tigerte ich so unruhig durch die Wohnung, dass ich sogar ein Glas umwarf. Schön in die Scherben treten, das wäre nun das Allerletzte gewesen.
Am Sonntag war’s wenigstens halbwegs trocken, nicht so windig und kalt wie befürchtet. Viele Kilometer hatte ich zuvor mit Doktor Thomas absolviert, auch den halben Heide-Elbe-Ultralauf als Generalprobe drei Wochen zuvor. Vielleicht, dachte ich, könnten wir auch in Lübeck Seite an Seite laufen? Um es kurz zu machen: Wir haben uns schon vorm Holstentor, ein paar hundert Meter vom Start entfernt, aus den Augen verloren.
Also allein durchkämpfen. Einen Heiden-Respekt hatte ich vor der Passage durch den Herrentunnel, der bis gut 30 Meter unter den Meeresspiel führt – und dann halt wieder 30 Meter hoch. Bei Kilometer 8 mag das noch kein Problem sein, aber bei Kilometer 34 auf dem Rückweg? Ich teilte mir den Lauf allein wegen dieses Tunnel gut ein. So gut wie wohl sonst keinen anderen Marathon mehr.
Der Lübeck-Marathon ist alles andere als ein City-Marathon, führt durch diverse Dörfer bis an die Ostsee. Auf der Promenade in Travemünde lag der Wendepunkt. Ich lief mal mit einer Frau, mal mit drei Männern, selten allein. Im Herrentunnel zwickte kurz meine Wade, aber die letzten acht Kilometer liefen sich fast von allein. „Ihr schaut gut aus“, brüllte ein Dudelfunk-Moderator so eindringlich, dass ich mich elf Jahre später immer noch gut daran erinnern kann.
Durchs Burgtor, auch das habe ich nicht vergessen, ging es auf die letzte Ehrenrunde durch Lübeck-City. Kurz abbiegen auf den Marktplatz. Und im Ziel. „Schade, ich hätte auch noch ein bisschen laufen können“, dachte ich allen Ernstes zum ersten und wohl auch zum letzten Mal nach einem Marathon. Mein erster unter vier Stunden. Mein erster, den ich auch flüssig und ohne größere Krisen durchgelaufen bin. Mann, war ich glücklich!