28. März 2024

Hermann oder Weichei?

Ich gestehe, dass ich nicht so sehr auf Eventläufe stehe.Tough Guy Race oder Strongmanrun? Nicht mein Geschmack. Color Run? Ich bin eh schon bunt angezogen. Nein, ich liebe es old fashioned – Quälerei auf die traditionelle Tour. So wie jetzt beim 43. Hermannslauf, einem Spektakel, dem gegenüber der neumodische Runfun ganz schön blass aussieht.

profilZugegegen, ich hatte meine Bedenken. Erstens sorgte das Höhenprofil des Laufs quer durch den Teutoburger Wald für Respekt. Zweitens steckte der Rotterdam-Marathon 14 Tage zuvor noch in meinen Beinen. Drittens verhieß die Wettervorhersage nichts Gutes. Und viertens hatte ich mich die Tage zuvor zwischen Koningsdag in Doetinchem und Schlemmerei in Oesede auch nicht gerade besonders schonend verhalten. Spaß haben und heil im Ziel ankommen – das waren meine Ziele und sonst nichts. Ich hatte meine Zweifel…

Hermann im Nebel. Foto: laufpix
Hermann im Nebel. Foto: laufpix

Gegen acht Uhr, und damit schon drei Stunden vor dem Start, holte ich mir im tatsächlich existierenden Ort Bielefeld (einmal muss dieser uralte Witz mal erlaubt sein) meine Nummer ab und bestieg wie empfohlen den erstbesten Transferbus Richtung Hermannsdenkmal. Unendlich viel Zeit war bei trüber Witterung noch totzuschlagen, doch der gemeine Ostwestfale ist doch deutlich kommunikativer als allgemein gedacht.

Kaum dass ich meinen Debütanten-Status angedeutet hatte, prasselten die Tipps nur so auf mich ein. Bloß nicht zu schnell angesehen! Bloß genug Kraft für den und den Berg oder die und die Treppen aufbewahren. Bloß bei den Bergab-Passagen aufpassen! Und auf dem Kopfsteinpflaster! Und bei den Versorgungsständen sowieso!

Ein paar Meter nach dem Start: Noch sehe ich recht sauber-bunt aus... Foto: laufpix
Ein paar Meter nach dem Start: Noch sehe ich (ganz links) recht sauber-bunt aus… Foto: laufpix

Pünktlich zum Start am Fuß des Hermannsdenkmals fing es an zu nieseln. Irgendjemand hielt eine Rede, freute sich dabei über das schöne Wetter, und ich fragte mich: Wie sieht denn hier überhaupt schlechtes Wetter aus? (Ich sollte es in den nächsten drei Stunden noch zur Genüge kennenlernen…) Und dann der erste Schock nach wenigen hundert Metern: dieses Verkehrsschild:

gefaelle-20-prozentJaja, oft genug habe ich es schon gehört und nie so richtig akzeptiert: Bergab laufen ist mindestens so anstrengend wie bergauf. Fast 7000 Männer und Frauen kugelten nun eine Straße herunter. Meine Waden schrien vor Anspannung und ich sehnte mir den ersten saftigen Anstieg herbei. Bald ging’s ab in den Wald. Der Weg wurde immer enger, was einige Idi-, äh, ehrgeizige Läufer, aber nicht davon abhielt, sich weiter an den anderen Leuten vorbeizudrängeln, als wenn das Ziel schon hinter der nächsten Kurve liegen würde.

Dort lag aber der erste richtige Anstieg, der große Ehberg, der fieseste Anstieg, den ich in meinen bisherigen sieben Läuferjahren bewältigt habe – und dabei doch nur die Ouvertüre. Gleichzeitig ging die Nieselei allmählich in einen richtig fiesen Landregen über. Dass es in der Nacht zuvor gegossen hatte, war an den Wegen nicht ganz spurlos vorbeigegangen.

So schöne Schlammstrecken muss man beim Strongmanrun sicher mühevoll anlegen, beim Hermann sind sie inklusive. Und schon bald hatten alle auch das Color-Run-Gefühl. Was mal schwarz-gelbe Laufschuhe waren, prangte nun grau-braun an meinen Füßen. Auch die Leuchtkraft meiner Kompressionsstrümpfe in oranje hatte sichtlich nachgelassen. Ich sah also sehr bald ungefähr so aus:

matzBis Kilometer 18 führte der Lauf vorwiegend durch Wälder und über Felder, wobei sich trotz des Schweinewetters tatsächlich einige Zuschauer an die Strecke verirrt hatten. Zwangsverpflichtete Familienmitglieder, dachte ich. Doch dann erreichten wir Oerlinghausen. Es ging auf Kopfsteinpflaster steil bergab wie auf den berüchtigsten belgischen Radfahrstrecken, zur Belohnung stand aber das ganze Dorf Spalier und feierte uns wie die Wilden. Toll!

Ich hatte mich mittlerweile bei einem Kilometerschnitt von gut 5:30 Minuten eingependelt – in etwa die Pace, die ich im Flachland ansonsten bei den langen Läufen einschlagen. Und ich hatte schon ab Kilometer 10 gezählt, wie viele Plätze ich noch gut mache – am Ende waren es gut 350. Komischerweise überholte ich schwerer Brocken aus dem Flachland die ganzen Bergziegen vor allem an den Anstiegen. Einmal stand sogar ein Wegweiser vor einer Gabelung: Hermänner nach links, Weicheier nach rechts. Und ich bin tatsächlich links abgebogen!

Ein buntes Völkchen wälzte sich da mit mir durch den Wald. Hübsch fand ich vor allem die Trikots der Aktiven von SW Sende, die die Farben in ihren Vereinsnamen (Schwarz-Weiß) locker ignorierten und mit weißen Sternchen auf knalllila Grund herumhoppelten. Oder die ganzen topfitten Alten: Der Sieger der Altersklasse M70, ein Herr namens Kalr-Friedrich Anwander von der LC Solbad Ravensberg, nahm mir fast eine Viertelstunde ab.

Doch ich wartete immerhin vergebens auf die große Krise oder die Schmerzen in meinen Gelenken, die diese Berge doch gar nicht gewöhnt waren. Ab Kilometer 27, so viel hatte ich mir gemerkt, konnte ich es rollen lassen. Das Ziel lag an der Sparrenburg im Ort, den es doch gibt, und Tausende von Zuschauern feierten jeden einzelnen Hermann. Ich fühlte mich tatsächlich immer noch prima – und erlebte das wohl schönste Gefühl auf den letzten Metern: ein leichtes Bedauern, dass dieser Lauf tatsächlich schon vorbei ist.

Wow, nun war ich ein echter Hermann! Und fühlte mich bald auch so. Fragt mich mal, wie viel Spaß es macht, einen Tag später Treppen runterzusteigen…

tiergartenlauf-video

Viele Fotos und Videos gibt es hier:

Neue Westfälische

Westfalenblatt

Radio Lippe

3 Gedanken zu “Hermann oder Weichei?

  1. Hallo Andreas,
    ich kenne Dich nicht, Du mich nicht. Aber eines haben wir gemeinsam. Wir sind beide vor 2,5 Wochen unseren ersten Hermann gelaufen.
    Mein Empfinden war Deinem doch SEHR ähnlich. Nur in Oerlinghausen war bei mir nicht mehr so viel los.
    Im Ziel war ich beinahe traurig, dass der Lauf vorbei war. Es hat mir so viel Spaß gemacht, auch durch die Schlammfützen zu laufen. Ich sah hinterher nicht aus wie eine süße Katze, eher wie ein Schwein 😉 Den Lauf bin ich als Trainingslauf angegangen, da ich zuviele Trainingsausfälle zuvor hatte. Daher waren es 31.100 m purer Genuss. Selbst der Ehberg und auch der Tönsberg.
    Der Muskelkater war Mittwochs schon wieder vorbei.
    Ein nächster Hermann kommt sicher … bin aber auch gebürtig aus Bielefeld, der Stadt, die es doch gibt!
    Viele Grüße und danke für Deinen Bericht. Bin zufällig drauf gestoßen, aber ich habe gerne an die Stunden auf der Strecke gedacht.
    Nicole

    1. Danke für deinen netten Kommentar – ich hatte auch zwei Tage lang Probleme vor allem beim Treppen runtersteigen – und ich hatte zwei Tage nach dem Lauf runden Geburtstag…

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