Etwas schmaler im Gesicht ist er geworden, wenn auch nicht mehr so schmal wie vor ein paar Monaten. Den Läufer Michael Thoms kennt man in der Szene weit über die Kreisgrenzen hinaus. Von seiner Krankheitsgeschichte wissen aber nur wenige Freunde. „Bis 40 habe ich gedacht, ich bin unverwundbar“, sagt der Lauenburger. Jetzt ist er 42 Jahre alt. Und hat ein paar Monate hinter sich, „in denen ich sehr angeschlagen war, körperlich und mental“.
Thoms‘ zweiter Lebensmittelpunkt ist längst Lüneburg. Wegen der Freundin, aber auch wegen des Trainings bei der Lüneburger SV, für die er ab Neujahr offiziell startberechtigt ist. In einem Lüneburger Café bestellt er sich einen Apfelstrudel und einen Cappuccino mit Sahne. Nicht unbedingt die typische Sportlernahrung. „Aber ich brauche jeden Tag etwas Süßes“, meint der Garten- und Landschaftsbauer lachend.
Ernst wird er, wenn er über seine Krankheit erzählt. „Erst Fußball, dann Laufen: Ich war immer ein aktiver Mensch“, erzählt er. Doch vor gut einem Jahr ging ihm beim Sport immer wieder die Kraft aus. Schwindelanfälle, Immunschwächen, ein schlimmer Reizhusten nach dem Deichlauf bei seinem bisherigen Verein TuS Hohnstorf Ende Mai – es ging ihm immer schlechter, ohne dass zunächst ein Arzt erkannte, was wirklich los war. Klarheit bekam er erst im August, war vier Tage später schon auf dem OP-Tisch in Eppendorf. Ein zweiter Eingriff folgte, Therapien, eine schwere Zeit beruflich und privat. „Die Lauffreunde haben mich aufgefangen“, so Thoms.
Er erhielt viele SMS, während sich die anderen Cracks beim Heideköniginnenpokal in Amelinghausen treffen und die Nachricht von seiner Krankheit die Runde machte. Carsten Horn, Rainer Jahnke und dessen Freundin Inga Feldmann, die Familie Ulbrich – sie halten besonders engen Kontakt zu Thoms, laden ihn auch mal zu einer ruhigen Laufrunde ein.
Plädoyer für den Fünfer
Erst einmal hatte Thoms aber eine Pause einlegen müssen. „Das hat mich zusätzlich mürbe gemacht“, erinnert er sich. Doch bald hieß es: „Ich sollte ausloten, was ich kann.“ Und so stand der Lauenburger beim Tiergartenlauf des MTV Treubund nur knapp fünf Wochen nach seiner ersten Operation wieder an der Startlinie, lief fünf Kilometer – und gewann mit großem Vorsprung. Doch statt Glückwünschen empfing er harsche Kritik, einige Herrschaften entrüsteten sich lautstark darüber, dass der bekanntermaßen schnelle Thoms sich unter die Freizeitjogger gemischt hatte. „Im Lüneburger Raum können viele schwer damit umgehen, dass man auch mal einen Fünfer läuft“, entgegnet der. „Den Leuten wird suggeriert, dass Laufen erst ab zehn Kilometern richtig losgeht.“
Fast überall außerhalb des Kreises finden sich auch viele Topleute auf der Fünferrunde – beim kleinen Adventslauf in Ebstorf etwa wurde Thoms auf der Kurzdistanz vor kurzem gerade einmal Vierter. Er will in Zukunft ohnehin „tendenziell weniger machen, mich weiter auf kurze Strecken spezialisieren“. Und das können auch mal 1500 oder 3000 Meter auf der Bahn sein, „weil ich die momentan besser wegstecke als die moderateren Langstrecken“.
Er bestellt sich einen zweiten Cappuccino, denkt darüber nach, was ihm das Laufen gerade in dieser schwierigen Lebensphase bedeutet. „Ich kann jedem nur auf den Weg mitgeben, dass er sich nicht hängenlassen, sondern weitermachen sollte“, sagt Thoms. Er war ohnehin „nie einer, dem es das ganze Wochenende verhagelt hat, wenn es mal nicht so lief“. Doch nun sieht er seinen Sport noch etwas lockerer, will auch mal Einladungen zu Läufen in Heidelberg oder Wales annehmen, statt auf die Jagd nach Meisterschaften oder Punkten im SALAH-Cup zu gehen.
Seine Krankheit, da ist sich Thoms sicher, hat er auch dank des Sports bisher gut verarbeiten können. Und das nicht nur, weil Bewegung dem Körper gut tut. „Wenn ich zwei Stunden zum Training aus dem Haus gewesen bin, dann habe ich in dieser Zeit nur ans Laufen gedacht“, so Thoms. „Es ist einfach das beste Mittel, um den Kopf frei zu bekommen.“
Er verweist auf sein Lederhalsband, an dem ein Kreuz baumelt. „Ich bin kein überreiligiöser Mensch“, betont Thoms. „Aber einfach mal in sich kehren, hilft auch unheimlich.“ Zum Beispiel dabei, sich nicht allzu ernst zu nehmen und sich dem Kampf zu stellen, was auch immer kommen mag.
(Aus der Landeszeitung für die Lüneburger Heide vom 24. Dezember 2012)