Einen möglichst entspannten Wiedereinstieg in den, hüstel, Wettkampfsport wollte ich mir gönnen. Nichts riskieren. Nur nicht zu sehr außer Atem geraten. „Hittfeld?“, sagt Knut vom Lauftreff des TuS Hohnstorf, den ich am Mittwoch besucht habe, „Hittfeld ist ganz schön anspruchsvoll.“ Der will mich doch veräppeln? Doch Knut verzieht keine Miene. Und zwei, drei andere aus der Läuferschar nicken zustimmend. Okay, ich war schon angemeldet – da muss ich jetzt durch.
Ich bin durchgekommen, muss Knut und allen anderen Hittfeld-Kennern recht geben. Hittfeld ist anspruchsvoll. Vor allem für jemanden, der aus gesundheitlichen Gründen eine gefühlte Ewigkeit (naja, etwas mehr als ein halbes Jahr) ausgesetzt hat. Erste Herausforderung: Ich bin schon sehr oft morgens, sehr selten auch mal abends gelaufen. Aber 14.30 Uhr? Eine gewöhnungsbedürftige Startzeit für mich. Ungewohnt früh für einen Samstag stehe ich auf, um ordentlich frühstücken zu können. Ein bisschen aufräumen und einkaufen geht auch noch. Dann aber ab auf die A39, auf zu neuen Abenteuern.
Abenteuerlich ist die Parkplatzsituation im Schulzentrum Peperdieksberg, einer Ansammlung von Betonklötzen der Art, wie sie in den frühen 1970er-Jahren überall hochgezogen worden sind. Die Bushaltestellen und der Wendehammer sind schon voll mit Autos, ich parke quer vorm Medienzentrum. Hier ist fast niemand zu sehen, doch als ich um die Ecke gehe, höre ich schon den Stadionsprecher – und sehe viele, viele Kinder, die längst nicht so nervös wirken wie ihre Eltern.
Der 10,6-km-Wettbewerb nennt sich zwar Hauptlauf, doch wir werden gerade einmal 141 Männer und Frauen sein. Über 4 km starten später 350 zumeist jugendliche Aktive, auch die Kinderläufe sind gut gefüllt. Toll, dass der Laufsport vielleicht doch eine Zukunft hat. Zumindest in Hittfeld, wo Vereine und Schulen massiv gut vertreten sind. Zum Beispiel das „Team Gym Meck“ – nach kurzem Knobeln komme ich drauf, dass diese große Gruppe wohl im benachbarten Meckelfeld auf die Schule geht.
Alles sieht super organisiert aus, in Windeseile bekomme ich meine Startnummer mitsamt Transponder und werde schnell meine Tasche los. Alle wünschen mir noch ein gutes Rennen und sind eh bestens gelaunt. Von wegen muffelige Norddeutsche! Steckenposten feuern mich an, sagen später: „Gleich sind die Berge vorbei!“ Oder: „Den kriegst du noch!“ (Aussage Nummer 1 hat gestimmt, Nummer 2 leider nicht.)
Nach zwei Kilometern Tritt auf die Bremse
Wir 141 fetzen los. Und nach einem Kilometer sehe ich, dass ich zumindest etwas nicht verlernt habe: zu schnell angehen. Nach zwei Kilometern ist mein Puls schon bei 150 – das sollte er eigentlich erst sein, wenn ich irgendwelche Gipfel der höchsten Kategorie wie den Hamberg in Garstedt oder den Stellweg in Traisa erklimme. Schon denke ich über Exit-Strategien nach. Wäre aber blöd, nach zwei flachen Kilometern schon aufzugeben. Also trete ich lieber etwas auf die Bremse.
Ausgebremst werde ich eh bald. Wer mal in Hittfeld mit dem Rad Richtung Dieter-Bohlen-Town Tötensen gestrampelt ist, wird den Weg kennen, den wir jetzt laufen. Eine nicht allzu heftige, aber nicht enden wollende Steigung. Auf der kleinen Runde zu Beginn unseres Zehners biegen wir etwa auf halber Höhe ab, auf der sich anschließenden großen Runde aber müssen wir da ganz hoch. Und dann rechts in den Wald hinein, wo es noch etwas höher geht.

Dass ich den ersten Kilomter in 4:45 Minuten gelaufen bin, den siebten und steilsten aber in 6:00, hat nicht nur etwas mit dem Areal zu tun. Tempohärte kennt mein Körper leider nur noch vom Hörensagen. Okay, nun geht es nicht nur mit meiner Form, sondern auch überhaupt frei nach Hildegard Knef kräftig bergab. Ein Mitläufer meint zu mir: „Nur noch zwei.“ Berge oder Kilometer? Nein, „Berge kommen nicht mehr“, versichert er mir.
Ich genieße den Lauf, die waldige Landschaft, die schöne Stimmung und das angenehme Wetter. Wir passieren eine Straße mit dem passenden Namen „Am Golfplatz“ und passieren ein paar Prachthäuser, Typ Toskanavilla, mit Gärten, die offenbar mit der Nagelschere gepflegt werden. Die Zahl 911 ist bei den Kfz-Kennzeichen überproportional vertreten. Aber sicher nicht, weil hier alle an einem 9. November geboren sind oder an das Datum der Progromnacht oder des Mauerfalls erinnern wollen. Ich ärgere mich ein bisschen über eine Frau, die ihren Hund trotz der vielen ihr entgegenkommenden Läufer partout nicht anleinen will. Dann über einen Anwohner, der unbedingt jetzt mit seinem Angeberauto die an sich gesperrte Straße passieren will. Jaja, die Vorurteile, ich weiß. Schön, wenn sie so präzise bestätigt werden.
Nur nicht von den Ladys ärgern lassen
Getoppt wird alles aber von den beiden Damen ein paar Meter weiter. Die eine sitzt im SUV, die andere hat ihren englischen Jagdrassesonstwasköter immerhin an der Leine, die aber die rechte Seite des Weges fast zur Gänze versperrt. Und beide unterhalten sich angeregt, nehmen nicht die geringste Notiz von uns schwitzenden Geringverdienern, die sich irgendwie an ihnen vorbeiquetschen müssen. Ich stehe ganz kurz davor, den beiden Damen freundlichst mitzuteilen, was ich von ihrem Nachmittagsschnack halte. Bis ich die passenden Worte aber gefunden habe, bin ich schon einen halben Kilometer weiter. Ach, es ist der Mühe nicht wert, wollen wir uns mal nicht das schöne Lauferlebnis nicht verderben.
„Den kriegst du noch!“, brüllt der letzte Streckenposten vorm Ziel – ich habe ja schon erwähnt, dass ich „den“ nicht mehr gekriegt habe. Ganz im Gegenteil: Statt einen zu überholen, werde ich auf dem kleinen, aber fiesen Anstieg Richtung Sportplatz selbst noch von vier, fünf Läufern überholt. Alle leicht ergraut, aber erfahren genug, mich noch einzusammeln. Drei von ihnen, wie ich jetzt schon ahne und später sehe, Altersklasse M60, die Phase, in der man sich allmählich Gedanken um die Rente machen darf. Die haben bestimmt alle bald noch viel mehr Zeit fürs Training und werden mich schon viel früher gnadenlos abhängen. Ich werde Sechster in der M60, nur ein paar Sekündchen hinter dem Dritten.
Aber das ärgert mich nur eine Zehntelsekunde lang. Ich freue mich, dass mein Puls stabil bei 140 bis 150 geblieben ist und dass ich auch ansonsten beschwerdefrei durchgekommen bin. Ich bin doch fast schon wieder richtig fit. Denke ich zu Hause, kurz bevor ich es mir auf dem Sofa richtig gemütlich mache und unverhofft für zwei Stunden einpenne.