Sechs Tage noch bis zum Marathon in Rotterdam. Und wie jedes Mal vor einem Marathon naht die Phase, in der das Selbstvertrauen und die Selbstzweifel die heftigsten Kämpfe miteinander austragen. War das Training wirklich hart genug, aber nicht zu hart? Wird’s wirklich am Marathontag regnen oder gar gewittern, wie der 16-Tage-Wettertrend prophezeit? Ziehe ich wirklich meine leichten Schuhe an? Was macht mein Heuschnupfen? Warum tu‘ ich mir das überhaupt an? Und so weiter. Es wird wirklich Zeit, dass es auf die Piste geht.
Kurzer Rückblick auf meine bisherigen sechs Marathonläufe – jedes Mal bin ich geradezu strotzend vor Selbstvertrauen an die Startlinie getreten. Oder etwa nicht?
Mallorca 2008: Puh, ist das warm hier. Keine gute Idee, den ersten Marathon auf einer Mittelmeerinsel anzugehen. Und mit jedem Tag wird es wärmer. Die Vorbereitung war zäh mit einer ausgewachsenen Entzündung im Fuß, bestimmt wegen Überlastung. Und in der letzten Nacht kriege ich kein Auge zu. Das kann ja nichts werden.
Lübeck 2009: Am Tag vorm Lauf regnet es junge Hunde. Und wieder kann ich nicht schlafen. Bei einem der ungefähr fünfzig Gänge zum Klo stolpere ich gegen eine Vitrine, etwas aus Glas fällt runter und zerspringt vor meinen Füßen. Das hätte ja noch gefehlt – Schnittwunden an der Fußsohle. So kann das doch nichts werden.
Dresden 2010: Keine gute Idee, vor dem Marathon erst einmal mit der Familie einen ausgedehnten Städteurlaub zu unternehmen. Mein Fuß tut von Tag zu Tag mehr weh, es wird von Tag zu Tag kälter, morgens gibt es sogar Frost. Ich schlafe schlecht. Und dann am Morgen das totale Chaos im Nahverkehr. Mein Bus kommt nicht, die Straßenbahn ist überfüllt. So wird das nichts.
Amsterdam 2011: Weil das schon in Dresden eine schlechte Idee war, ruiniere ich meine Form wieder durch tagelanges Schlendern durch die Stadt. Und in Amsterdam ist das Straßenbahnchaos noch größer. Erst stolpere ich stundenlang durch die Stadt auf der Suche nach einer Station, die noch angefahren wird, dann rast eine übervolle Bahn nach der anderen an mir vorbei. Das wird nichts.
Hamburg 2012: Arschkalt ist es während der gesamten Vorbereitung, die so eher zäh verläuft, doch pünktlich zum Marathon fährt die Natur die Heizung hoch. Schwülwarme 25 Grad sind angesagt. Ich schlafe gut, aber viel zu kurz, weil ich unbedingt mit dem Zug um sechs Uhr schon nach Hamburg düsen will. Das wird doch garantiert nichts.
Düsseldorf 2013: Eine Woche krank, zwei Wochen verletzt, ansonsten nur am Stolpern über schneebedeckte Wege – die Vorbereitung lief so flüssig wie ein Stahlträger. Zwei Tage vorm Lauf geht die Welt unter, einen Tag vorher tut mir die Leiste beim letzten Warmlaufen weh – eine Zerrung? Im Startblock bin ich mir sicher, dass ich keine zehn Kilometer schmerzfrei durchhalten kann. Das wird definitiv nichts.
Was habe ich gelernt?
Nun, ich bin trotz mancher Krise bisher immer ins Ziel gekommen. Und den Respekt vor dieser Distanz sollte man auch beim siebten Versuch nicht ablegen.
– Überlastung ist noch schlimmer als Unterforderung. Wer zu schnell sein Pensum steigert, der kann sich ganz schnell auf Verletzungen einstellen. Und wer mit aller Gewalt noch einen Testwettkampf unterbringen will, obwohl er vielleicht eher noch etwas lockerer trainieren sollte, wird das auch bereuen.
– Wer den Marathon mit einem Urlaub verbindet – bloß nicht vor dem Marathon zuviel vornehmen. Mittlerweile liebe ich es, erst zwei Tage vor dem Start anzureisen und lieber noch ein paar Tage nach dem Lauf in der Stadt zu verbringen.
– Ein Quartier in Nähe des Starts ist Gold wert. Denn der Nahverkehr bricht am Wettkampfmorgen grundsätzlich zusammen – gut, wenn man dann zu Fuß vom Bettchen zum Startblock schlendern kann.
– Ideale Bedingungen gibt es nicht. Es ist immer ein bisschen zu warm, zu kalt, zu nass oder zu windig. Aber wer sich vom Wetter ins Bockshorn jagen lässt, der sollte sich lieber eine Hallensportart suchen.
– Fast die wichtigste Regel: Schlaf in der Nacht vorm Lauf wird überschätzt.
Beitragsfoto: run the egde