Zu jeder zünftigen Marathonvorbereitung gehört der Punkt, an dem man einfach nicht mehr mag und kann, sich die Sinnfrage stellt: Warum tu‘ ich mir diesen Scheiß eigentlich freiwillig an? Wenn Schmerz auf Einsamkeit trifft und Schneeregen auf eine kurze Hose, dann sind Nehmerqualitäten gefragt. Beißen, Junge! Ich weiß gar nicht, wie häufig ich mich heute mit diesen (oder drastischeren) Worten angefeuert habe. Immerhin, es war der letzte Dreißiger vorm Marathon. Aber was für einer!
Normalerweise spule ich die langen Läufe sonntags zusammen mit den Mädels und Jungs von den Düvelsbrook Dynamics ab. Wir plaudern viel über Fußball, nicht anwesende Dritte, Kinder oder den Job (ungefähr in dieser Reihenfolge), und ehe man sich versieht, sind 30 Kilometer schon wieder geschafft. Die letzte lange Kante will und muss ich aber wegen der Ostertage allein laufen – und weil’s auch in unserer Region kräftig gestürmt und geschüttet hat, meide ich mein Waldrevier und nehme die Straße. Meine berühmte Wittorf-Brietlingen-Inselsee-Runde steht mal wieder an.
Zwischen Bardowick und Wittorf will ich anhand der Kilometerschilder kontrollieren, ob meine Pace denn auch stimmt. Nach zirka einem Kilometer suche ich die passende Markierung auf der anderen Straßenseite, suche sie, suche sie und… Verflixt – eine Platte des Fuß- und Radwegs stand so hoch, dass ich stolpere und der Länge lang hinfliege. Bloß nicht die Hand brechen, denke ich noch. Bloß nicht auf die Schulter fallen, denke ich 0,01 Sekunden später. Das Vergnügen hatte ich erst vor zwei Jahren – ich konnte wochenlang nur auf einer Seite schlafen. Ich schaffe es tatsächlich, mich Richtung Grünstreifen abzurollen und weich zu fallen. Die linke Hand ist ein wenig aufgekratzt. Puh, das ging gerade noch einmal gut.
Ich passiere Wittorf und Brietlingen im angenehmen Schleppschritt. Es wird dunkler und dunkler – na, hoffentlich komme ich noch halbwegs trocken nach Hause, denke ich. Zirka 0,01 Sekunden später fängt es an zu hageln. Kaum bin ich auf der besonders windanfälligen Passage am Elbe-Seitenkanal angekommen, geht der Hagel in Schneeregen über. Hatte ich schon erwähnt, dass ich in kurzer Hose gestartet bin? Meine Wind- und Regenjacke hält nach mehrjährigem Dauereinsatz offenbar Wind und Regen auch nicht mehr 100-prozentig ab. Die letzten zehn Kilometer soll ich laut Steffny heute übrigens schneller laufen. Selten so gequält gelacht.
Fünf Kilometer vorm Ziel schalte ich trotzdem mal einen Gang hoch. Weniger wegen Steffny, mehr aus Sehnsucht nach einer warmen Dusche und einer trockenen Wohnung. Drei Kilometer halte ich das Tempo höher, dann überfallen mich die Psedo- und Phantom-Schmerzen im Dutzend. Mit diesen Schuhen will ich wirklich einen Marathon laufen? Die Füße tun mir weh, die Waden verkrampfen, im Oberschenkel zwickt’s, in der Leiste ebenso. Fehlt eigentlich nur noch der spontane Ausbruch der Beulenpest, so elend fühle ich mich.
Beißen, Junge! Längst bin ich wieder bei einem Tempo irgendwo zwischen Walker und scheintot angekommen, muss mich geradezu zwingen, die letzten paar hundert Meter nicht zu gehen. Warum tu‘ ich mir das an? In dem Moment, in dem ich die Haustür erreiche und ich breit grinse, weil ich weiß, dass ich jetzt auch den letzten Dreißiger geschafft habe, weiß ich, warum. Darum!
Hallo saffti,
Danke für den schön geschriebener Bericht. Hat Spaß gemacht zu lesen – im Warmen *eg*
Das sind die wichtigsten Läufe. Im Wettkampf (bei hoffentlich besseren Bedingungen) kannst du dann immer wieder an den Lauf zurückdenken und dir sagen, wenn ich das geschafft habe, wird ja ein Marathon auch wohl drin sein. 🙂
Erhol dich gut!
Jan
Hm es ist und bleibt eine harte Einzelsportart. Aber genau das liebe ich so daran. Man muss sich durchbeissen, so wie du es tust. Ich glaube das ist eine Tugend die viele heute nichtmehr kennen, egal in welcher Lebenslage. Ich wünsch dir weiterhin viel Erfolg dabei und na klar beim Marathon erst recht. Ach ich seh gerade die selbe `Schutztuchdecke liegt bei uns auch auf dem Sofa ;D. Schönen Abend noch!
Philipp
Der rote Kater liegt zu gern auf diesem Sofa – daher die Decke. Meistens folgte einer so nasskalten Vorbereitung übrigens ein Hitzemarathon…
Wow, das ist wirklich hart erkämpft. Haste mal den Kater gefragt? Ich glaube, der hätte nicht gern mit Dir getauscht.
Der Schmerz geht, der Stolz bleibt – so sagt man ja immer. Ähnlich wirds wohl auch bei Dir sein.
Der Katzenmann schaut auf jeden Fall mächtig brummig drein – da wird der Läufermann sicher zufriedener aus der Funktionswäsche geguckt haben 😉