6. Dezember 2024

Der dritte Hahner-Zwilling

Ach, irgendwann ist auch mal genug mit Olympia. Ich bleib‘ diesmal nicht auf dem Sofa hängen, sondern düse ab Richtung Wilhelmsburg in den wilden Hamburger Süden. Was gibt es denn Schöneres, als an einem lauschigen Sommerabend mit lauter netten Leuten vier entspannte Runden durch den schnuckligen Inselpark zu drehen? Schöner wäre es vielleicht geworden, wenn ich wirklich alle Runden entspannt geschafft hätte. Aber von einem Mords-Einbruch bei Kilometer 7,5 lasse ich mir doch die Laune nicht verderben.

 

Wen man alles trifft in Wilhelmsburg! Das eine oder andere bekannte Gesicht aus Lüneburg und endlich auch mal den Blogger-Kollegen Andreas, den ich bestimmt schon auf 3500 anderen Veranstaltungen knapp verpasst habe. Der hat den Marathon in Rostock und den Berliner Mauerweglauf in den Knochen, ich „nur“ meine ersten vier Wochen der Marathon-Vorbereitung. Und nach ein paar elend langen Läufen quer durch die Wälder zwischen Lüneburg und Bienenbüttel ist mir heute einfach mal wieder nach Gas geben.

David Heitmann und ich am Ende der zweiten Runde. Gleich überhole ich ihn - und muss ich bald wieder passieren lassen. Foto: Davids Freundin
David Heitmann und ich am Ende der zweiten Runde. Gleich überhole ich ihn – und muss ich bald wieder passieren lassen. Foto: Davids Freundin

Auf der ersten Runde gebe ich traditionell zu viel Gas. Erstmals laufe ich ja nicht mit meiner Laufuhr aus der frühen Bronzezeit herum, sondern mit einer echten GPS Fitness Watch, auf der ich später haargenau erkennen kann: Kilometer 1 bis 3 sind etwas zu schnell, Kilometer 4 bis 7 sind okay. Aber dann, Kilometer 8…

einbruch

 

Seitenstechen? Magenschmerzen? Hätte ich gestern das Döner und heute Nachmittag den Erdbeerkuchen doch weglassen sollen? Irgendwo hinter den Rippen zwickt es gewaltig. Ich muss Tempo rausnehmen, gehen, die Arme nach oben nehmen. „Geht’s?“, fragen einige Mitläufer besorgt. Ja, gehen kann ich noch. Laufen nicht mehr, Irgendwann aber doch wieder. Locker trabe ich wieder los – kein Gedanke daran, das alte Tempo wieder aufzunehmen.

So etwas ist mir noch nie passiert. Andererseits war ich auch noch nie bei einem Lauf so alt wie diesmal. Die Uhr verrät mir später, dass mein Puls innerhalb weniger Sekunden von 145 auf 170 angestiegen ist. Dafür habe ich mich wenigstens wieder schnell erholt. Gut, dass demnächst sowieso ein Check beim Arzt ansteht.

Nach der dritten Runde will ich eigentlich aussteigen, entscheide mich aber spontan dafür, die vierte Runde doch noch zu drehen. Zum Auslaufen, als kleinen Triumph über den Schweinehund, aber auch, um mir noch einmal in Ruhe den Park anzuschauen. Eine türkische Großfamilie macht sich gerade auf den Heimweg. Die Mütter ignorieren uns tapfer, die Kinder strecken begeistert die Hände zum Abklatschen aus. Ein Knips läuft sogar mit, brüllt nach 100 Metern: „Ich kann nicht mehr.“

Wir passieren ein paar Kleingärten, in denen begeistert gegrillt und gefeiert wird. Dann die Basketball-Felder hinter der Heimat der Hamburg Towers, auf denen einige Jungs und Mädels höchste Punktzahlen in Sachen Coolness anstreben. Vor der vorletzten Kurve sitzen zwei Zaungäste und feuern uns an. Ich bedanke mich mit einer Ein-Mann-La-Ola und nehme mir fest vor, mit einem schönen Grinsen die Ziellinie zu passieren. Mit einem Hahnertwins-Gedächtnis-Grinsen. Schade nur, dass ich gerade keinen Zwilling zur Hand habe, um gemeinsam mit ihm die Ziellinie zu überschreiten.

Aber ich verstehe jetzt voll und ganz, warum Anna und Lisa ihren Zieleinlauf in Rio so und nicht anders durchgezogen haben. Wenn ihr Marathon auch mäßig verlief, dann kommen sie doch wenigstens mit einem guten Gefühl aus der ganzen Sache heraus und verlieren nicht die Lust am Laufen. Vielleicht sollte sich der gewöhnliche Fernsehzuschauer das Recht am Meckern auch erst einmal erarbeiten müssen: Erst wer eine Stunde selbst aktiv Sport betrieben hat, darf einen Athleten bekritteln. Die Worte „Olympia-Tourist“ oder „Versager“ sind erst ab einem Halbmarathon unter zwei Stunden freigeschaltet. Ich wette, es würde sehr ruhig werden im Land.

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