Silvester ist ein wunderbarer Tag. Gerade für Läufer. Alle chronischen Knieverletzungen, vermurksten Volksläufe und geschwänzten Trainingseinheiten des alten Jahres werden zu einem dicken Paket zusammengeschnürt und in den Restmüll geworfen. Den frei gewordenen Platz füllen die Pläne fürs kommende Jahr. Bei normalen Menschen heißt das Phänomen „gute Vorsätze“ – vergessen und verschüttet rund um den 7. Januar. Aber die Läufer. Klar doch, dass sie jeden Marathon, über den sie Silvester schwärmend reden, dann auch tatsächlich in Angriff nehmen. Oder zumindest jeden zwölften…
Die große Umschlagsbörse für diese Pläne heißt in Lüneburg „Silvesterlauf des MTV Treubund“. Ohne Platzierung und Zeitmessung, aber warum bekommen wir trotzdem wie jedes Jahr trotzdem Startnummern ausgehändigt? Gut 250 Leutchen haben sich bei bestem Wetter versammelt (bei Schnee und Eis vor ein paar Jahren waren es auch mal nur 25), viele bekannte Gesichter sind dabei. Aber ehe man sich irgendwo festquatschen kann, bittet der MTV-Lauftreffchef Wilhelm Stumpenhausen zum gemeinsamen Start. Die Runde vom Tiergartenlauf, den ich im September so schmächlich geschwänzt hatte, steht heute wieder an. Sozusagen die Autobahn unter den Lüneburger Laufstrecken.
Ich spitze meine Lauscher und entdecke einmal mehr den kleinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Frauen reden über ihre Silvesterpläne, über den neuen blöden Freund ihrer Tochter oder über den anstehenden Skiurlaub. Männer reden über das Laufen in allen Facetten. Selbst die Fußballer, die ich passenderweise auf Höhe des LSK-Platzes erreiche. Einer vom TuS Barendorf gesteht, dass das heute sein erster Lauf in diesem Jahr ist. „Was haben wir in der Vorbereitung gemacht? Champions League geguckt.“ Ein Trainer, den ich hin und wieder bei Volksläufen sehe, erzählt, dass er mit 48 immer noch den meisten seiner Schützlinge davonläuft – deswegen hinkt der VfL Bleckede also immer noch den Erwartungen hinterher…
Wo sind die Berliner?
Ein letztes Mal in diesem Jahr geht’s über das Hügelchen an der Ostumgehung, der in Lüneburger Läuferkreisen durchaus als Bergwertung zweiten Grades durchgeht. Nun aber geht’s bei den nächsten Mitläufern in die Vollen. Was hat man den so vor? Hamburg, Berlin, Hamburg, Hamburg, Berlin – so lauten die ersten Nennungen für 2013. Klar, dass es sich nur um einen Marathon handeln kann. Ich hatte mich gerade vormittags für Düsseldorf angemeldet, komme mir wie der letzte Exot vor.
Im Ziel. Ich treffe Jens vom Lauftreff, der mit rotem Kopf erzählt, wie er gaaaanz locker mit Thomas laufen wollte. Nun, für Thomas war die Runde sicher locker, aber Thomas lief kürzlich den Marathon auch in unter 2:50 und kann es sich selbst Silvester nicht verkneifen, noch einen kleinen Extraschlenker einzubauen. Wahrscheinlich mit Endbeschleunigung, da er nach Greif trainiert.
Ich hole mir mein Würstchen und Tee, den es zumindest theoretisch wohl nur gegen Vorzeigen der Startnummer gratis gibt. Nicht-Läufer, das stellt Wilhelm Stumpenhausen klar, können die Würstchen nicht einmal kaufen, denn die sind abgezählt und allein für die Aktiven gedacht. Jau, hier herrscht Ordnung. Kleine Enttäuschung: Im Vorjahr ertrank diese Veranstaltung geradezu in Berlinern, die eine Großbäckerei noch spontan gespendet hatte. Diesmal scheinen alle rechtzeitig verkauft worden zu sein.
Die letzte Gesprächsrunde des alten Jahres. Hier schwärmt man von Oslo und warnt vor Helsinki, will unbedingt mal nach Reykjavik und kennt sogar Tórshavn. Klar, hier sind Fans der nordischen Länder unter sich. Christine erzählt noch von ihrem allerersten Marathon und davon, wie zwei Bubis am Straßenrand gelästert hatten, wie scheiße die Läufer doch aussehen: „Und da habe ich mir vorgenommen, dass ich im Ziel nie wieder scheiße aussehen will.“
Klingt nach einem sehr vernünftigen Vorsatz für 2013.