25. April 2024

Im Land der Superbauern

Doetinchem muss man nicht unbedingt kennen. Aber dann kennt man auch den kultigen Fußballclub De Graafschap nicht – die „Superbauern“ des niederländischen Fußballs, eine Art Mischung aus SV Meppen und VfL Bochum. Man kennt auch das D-Toren nicht – eine Art überdimensionaler Zahn, der je nach Laune der Bürger abends in blau, gelb, rot oder grün leuchtet. Und man kennt den Halve Marathon van Doetinchem nicht, eine grundsympathische Laufveranstaltung, auf der ich mal eben schnell meinen letzten Halben in diesem Jahr laufen wollte. Schnell? Es kam mal wieder ganz anders.

Eine Stunde vor dem Start scheinen schon 99 Prozent der Teilnehmer auf dem Sportplatz des Ausrichters ARGO Atletiek angekommen zu sein. Nebenan spielen ein paar Super-Jungbauern Fußball; bei ARGO herrscht das typische Vor-dem-Lauf-Lampenfieber. Alle trippeln aufgeregt hin und her, unterhalten sich, feuern die meisjes en jongens bei deren Stadionrunden an.

Was beeindruckt, ist vor allem die Zahl der Sponsoren. Jeder der neun Laufbahnen ist ein Geldgeber zugeordnet, weitere Reklamewände stehen überall herum. In Laan 9 gibt es etwas zu futtern und die Unterlagen für die vorangemeldeten Läufer, meine Startnummer gibt es bei Paul in Laan 10, dem Wettkampfbüro. Er hatte dankenswerterweise die 10 Euro Startgebühr für mich ausgelegt, weil ich leider kein niederländisches Konto zum Abbuchen hatte. Alles wirkt perfekt organisiert, niemand muss lange anstehen, obwohl knapp 300 Leute den Halbmarathon laufen wollen und fast 200 auf den kürzeren Distanzen starten.

Wenngleich die Grenze keine 20 Kilometer entfernt ist, trauen sich nur eine Handvoll Deutscher an den Start, abgesehen von mir alle vom Niederrhein. Wie Klaus und Andrea aus Appeldorn, nicht zu verwechseln mit Apeldoorn, wo Klaus und ich aber auch schon mal am Start waren. Nun wird’s aber Zeit für selbigen. Ich sortiere ich optimistisch im vorderen Viertel ein, irgendwo bei halbwegs schnell aussehenden Frauen und dynamisch wirkenden Senioren – diese zwei Gruppen wissen in aller Regel am besten, wie man ein Rennen einteilt.

Startschuss. Ja, ein echter Schuss. Nach einer Viertelrunde über den Platz werden wir schon in die Freiheit entlassen. Es geht an einem nicht eben schäbig aussehenden Villenviertel vorbei raus aus dem Ort. Wir passieren eine kleine Unterführung (es wird die größte Delle im ansonsten pfannkuchenflachen Profil der Strecke sein) und laufen bald kreuz und quer über die Felder. Irgendwann geht’s durch IJzevoorde, einen kleinen Ortsteil von Doetinchem, ansonsten passieren wir nur diverse Bauernhöfe und nehmen Kurs auf das schnucklige Kasteel Slangenburg – kurz vor dem Schloss biegen wir aber wieder in den Wald ab. Wat een jammer.

Ich hefte mich ein paar Kilometer an die Fersen der schnellen Frauen und dynamischen Senioren, merke aber bald – die sind zu schnell für mich! In den fünf Tagen zuvor habe ich in den Niederlanden fast alles getan, um auch noch meine Restform gründlich zu ruinieren. Wein, Weib und Gesang fordern bald ihren Tribut. An eine Pace von 4:30 ist nicht einmal ansatzweise zu denken, irgendwann halte ich wenigstens eine 4:50. Ich sauge die gute Stimmung am Straßenrand auf. Immer wieder stehen kleinere Grüppchen irgendwo in der Pampa herum und feuern uns an. Klasse.

Da wartet ja auch schon meine Gastgeberin Carola mit ihren drei Töchtern auf mich. Ich winke freudig aufgeregt – doch je näher ich Carola komme, um so weniger sieht sie nach Carola aus. Und ihre Töchter werden auch immer jünger… Mist, ich muss mich wohl doch um eine Sportbrille in meiner Sehstärke kümmern. Hoffentlich steht die Dame nicht heute noch an der Ecke und überlegt, wenn denn dieser verrückte Läufer war, der sie so komisch angemacht hat.

Irgendwo in der Pampa drohe ich (ganz rechts) schon fast in den Graben zu torkeln. Und meine Startnummer hängt auch ganz schief... Foto: Timo Steijntjes
Irgendwo in der Pampa drohe ich (ganz rechts) schon fast in den Graben zu torkeln. Und meine Startnummer hängt auch ganz schief… Foto: Timo Steijntjes

Irgendwann habe ich wieder meine Minuten, in denen ich über Sinn und Zweck dieses Laufes grüble und am liebsten aussteigen möchte, weil ich mich doch sehr schlapp fühle und mich diverse Kontrahenten locker passieren. Doch dann schaffe ich es, die letzten Kilometer mit einer kleinen Gruppe mitzuschwimmen – vielleicht liegt es auch an der jungen Frau aus Wageningen, die ein Weilchen neben mir herläuft und offensichtlich froh ist, dass sie einen Leidensgefährten mit dem gleichen Tempo gefunden hat, auch wenn der aus Duitsland kommt.

Das Ziel naht. Irgendein Streber zischt wie Usain Bolt noch an mir vorbei. Ich selbst bin nur verwundert, wie kaputt man sein kann, auch wenn man gute sieben Minuten über der Bestzeit geblieben ist. Immerhin: Neben einer Medaille und einer herzlichen Gratualation einer Helferin gibt es aus ihrer Hand noch eine kleine Tasche mit Verpflegung für alle Finisher. Ich freue mich, dass auch Andrea aus Appeldorn ihren ersten Halbmarathon toll überstanden hat – Klaus diente als Lokomotive.

Der Stadionsprecher begrüßt auch noch die letzten Finisher nach 2:20 Stunden genauso herzlich wie die Sieger. Paul erkundigt sich tags darauf per E-Mail sogar bei mir, ob ich denn auch heil und gesund im Ziel angekommen sei – mein Ergebnis war nämlich gar nicht erfasst. Leider hat er die Zeit kurz darauf dann doch wiedergefunden.

Auf der Seite von ARGO Atletiek findet man Links zu den Ergebnissen, Fotos und sogar zu einem Filmchen auf Youtube.

 

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