Wir unterhalten uns über Triathlon und Stand Up Paddling. Über das Schietwetter beim Hamburg-Marathon und Hunde mit epileptischen Anfällen. Nur über eine Sache unterhalten wir uns nicht, jedenfalls nicht während des Laufs. Über Essen im Allgemeinen und vegane Ernährung im Besonderen. Dabei wirbt „Laufen gegen Leiden“ für sich als „Deutschlands veganer Sportverein“ und lädt an jedem Vollmondabend zu einem Gutenachtlauf, der für seine Anliegen werben soll. Aber gegen eine gemütliche Runde mit Fleischfressern wie mich hat hier offenbar auch niemand etwas einzuwenden.
Ganz ohne Gerede übers Essen geht es ja auch nicht. „Ich starte so gern beim Wendland-Marathon in Liepe“, betont Tanja Spak-Menke, „denn da gibt es leckeren veganen Kuchen. Das würde ich mir bei mehr Veranstaltungen wünschen.“ Die Frau mit den auffälligen Dreadlocks leitet den Treff, der sich immer zu Vollmond um 21.30 Uhr auf dem Parkplatz des Behördenzentrums trifft. Mal sind nur drei Leute da, mal ein Dutzend – heute sind es acht plus Hund, vier davon Veganer, zwei weitere zumindest Vegetarier. Sieben wollen laufen, eine Teilnehmerin radelt mit.
Wir biegen ab Richtung Ilmenau auf den Treidelpfad. Vegane Ernährung und Sport schließen sich definitiv nicht aus. Tanja Spak-Menke und ihr Mann Ido Spak bewältigen gemeinsam Marathon-Läufe, wenngleich der gebürtige Israeli diesmal in Hamburg passen musste: „Da war es mir viel zu kalt. Ich fühle mich wohl, wenn die Sonne scheint und es richtig warm ist.“ Nicola Kunz trägt ebenfalls das Shirt mit dem Aufdruck „Laufen gegen Leiden“. Heute und bei diversen Wettkämpfen bis zum Halbmarathon. „Viele gucken drauf, und manche sprechen mich auch auf den Verein an“, erzählt sie. Doch Missionieren liegt ihr fern: „Von meinen Jungs lebt keiner vegan. Und ich esse auch mal Fisch.“
Auch Tanja Spak-Menke sagt, dass sie „nur zu 99,9 Prozent vegan“ lebt: „Wenn mir meine 85-jährige Nachbarin ein Kuchenstück anbietet, in dem auch ein Ei ist, kann ich nicht Nein sagen.“ Ansonsten verzichtet sie seit elf Jahren auf tierische Produkte – nicht nur aus ethischen Gründen: „Ich brauche zum Beispiel viel weniger Schlaf als früher.“
Nach etwas mehr als drei Kilometern entlang der Ilmenau stehen wir vor der Wahl: umdrehen, weiterlaufen oder abbiegen Richtung Goseburg? Es wird allmählich dunkel. Auf eine Runde durchs Industriegebiet hat keiner Lust, also laufen wir am Fluss zurück. Zum Ritual der gut siebzig Gutenachtläufe zwischen Flensburg und Zürich gehören Gruppenfotos, eins vorm Start, eins nach der Ankunft. „Alle starten zur gleichen Zeit“, erklärt Tanja Spak-Menke, „also fühlt man sich selbst, wenn man mal allein laufen sollte, immer als Teil einer Gemeinschaft.“
Der Verein bezieht Position gegen Massentierhaltung. Heute wird bundesweit für die Tierrechtsorganisation Animal Equality gesammelt. „Wir Veganer gelten ja manchmal als anstrengend“, meint eine Teilnehmerin aus dem Hintergrund. Doch selten habe ich so entspannte Laufpartner auf einer Runde erlebt. Schön. Nur auf einen Zeitgenossen habe ich an diesem Abend überhaupt nicht geachtet. Wo war eigentlich der Vollmond?
Mehr zum Verein Laufen gegen Leiden und zum Gutenachtlauf lest ihr auf dieser Seite: http://www.laufengegenleiden.de/