21. November 2024

Ich liebe Traisa, nur nicht den neunten Kilometer

Endlich wieder eine Startnummer auf dem Bauch. Endlich mal wieder ein bisschen Gas geben. Endlich wieder der Geruch nach Kuchen, verschwitzten Frauen und Männern, Wald, Regengüssen vom Abend zuvor. Endlich wieder die Aufregung fast wie beim ersten Start vor mehr als 17 Jahren. Halte ich durch? Okay, die Volkslaufszene hat mich wieder.

Traisa am Rande des Odenwalds. Immer am 3. Oktober findet der schönste Volkslauf der Welt statt. 2023 bin ich hier ein letztes Mal gegen die Uhr gelaufen, bevor die Seuche richtig losging. Herzrhytmusstörungen, lange nicht diagnostiziert, Leistenbruch, Zerrung und Muskelfaserriss, als Zugabe noch zwei Zahn-OPs. Nun aber bin ich tatsächlich vier, fünf Wochen am Stück verletzungsfrei gelaufen und bin richtig heiß auf mein Comeback.

Alles andere als heiß ist es dagegen an diesem Tag in Traisa. Neun Grad, dicht bewölkt. „Wir haben heute Nacht extra noch die Strecke bewässert, damit es nicht so sehr staubt“, witzelt der Bürgermeister direkt vorm Start. „Zu meinem nächsten Termin ist es auch elf Kilometer weit, aber ich nehme das Auto“, ergänzt er noch, dann dürfen wir endlich los. Wir, das ist auch in Traisa eine wilde Mischung vom südhessischen Laufcrack mit Vereinsaufdruck auf seinem Singlet und Körperfettanteil im Promillebereich bis zu wackeren Minderleistern wie mich.

Kuchen Traisa
Das einzige Foto, das ich in diesem Jahr in Traisa geschossen habe – das größte und leckerste Kuchenbüffet Südhesssens.

 

Jahrelang habe ich bei den Düvelsbrook Dynamics für diesen Wettkampf geworben, er findet ja nur zirka 550 Kilometer von Lüneburg entfernt statt. Neben Fast-Lokalmatadorin Heidi sind diesmal Alex und Steffi dabei, er als Läufer, sie als moralische Unterstützung und Jackenhalterin, was bei diesem Wetter auch nicht ganz unwichtig ist.

Die ersten drei Kilometer geht’s leicht bergab, dann wartet der kurze, aber fiese Stellweg auf uns. Heimlich habe ich mein Mütchen zwei Tage zuvor am Ministellweg in Saulheim, einem steilen Teilstück in den Weinbergen, gekühlt und bewältige jetzt diese Schikane halbwegs ohne Schnaufen. Dann laufen wir weiter lustig durch den Wald, tendenziell leicht bergab. Ich bin Teil nicht einer Jugendbewegung (Grüße an Tocotronic), dafür aber einer kleinen Gruppe, die „mein“ Tempo läuft.

Traisa Start
Trio in Traisa. Blau waren an diesem Tag nur unsere Trikots, aber nicht der Himmel.

 

Ab Kilometer 6,5 sind aber für gut drei Kilometer wieder Bergsteigerqualitäten gefragt. Der Anstieg zieht und zieht sich. Ich horche in meinen zuletzt geplagten Körper immer intensiver rein. Hält die Wade? Ja. Ist der Puls okay? Beständig bei 150 – diese Bereiche kennt mein Herz kaum noch. Was macht die Kondition? Nun ja.

Der neunte Kilometer ist der fieseste. Unsere Gruppe löst sich allmählich auf, der schnellste Halbmarathoni fliegt an mir vorbei. Eine Kurve – und danach wartet noch ein Anstieg. Gab es den letztes Jahr auch schon? Bald aber sehe ich rechter Hand den Sportplatz, höre die Ansagen aus dem Zielbereich. Herrlich! Vor mir legt ein junger Badminton-Crack Gehpausen ein, um immer wieder exakt dann loszuflitzen, wenn ich fast eingeholt habe. Mich packt der Ehrgeiz. Den will ich unbedingt überholen.

Traisa Ziel
Trio am und im Ziel. Bloß schnell wieder die Jacken an!

 

Das schaffe ich tatsächlich auch. Dafür sprinten zwei, drei andere Gestalten an mir vorbei. Mal ist man halt der Jäger und mal das Wild. Egal, ich kämpfe mich ins Ziel. Freue mich über meine Zeit. Vier Minuten langsamer als bei meinem Debüt hier vor sieben Jahren, aber acht Minuten schneller als letztes Jahr. Vor allem aber bin ich glücklich darüber, dass mein Kreislauf und meine Knochen diese mittlerweile ungewohnte Belastung mitgemacht haben.

Entsprechend groß ist die Euphorie auf der Rückfahrt. Ende Oktober will ich doch in Borstel laufen, gibt es vielleicht vorher noch ein Event? Ja, den Auetal-Oktoberlauf. Und im Dezember vielleicht Mörfelden-Walldorf unweit vom Frankfurter Flughafen – da wollten wir schon mal hin, irgendwas (Corona, Dauerfrost, Verletzung, Krankheit oder Arbeit?) kam dazwischen. Ein Halbmarathon im nächsten Frühjahr, ein Marathon auf der Deutschen Weinstraße? Wenn ich überall schon tatsächlich gelaufen wäre, wo ich hinwollte, hätte ich bestimmt schon zwei Erdumdrehungen geschafft.

Aber Traisa war immerhin ein  (Neu-)Anfang. Mal sehen, wohin mich die Reise diesmal führt.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.