Mist, jetzt ist es doch passiert. Ich soll mich also mit Eiswasser überschütten. Für den guten Zweck, für ein paar Likes auf Facebook und für ein paar billige Lacher. Fast hatte ich schon ein bisschen geschmollt, dass mich noch keiner mit dieser Ehre bedacht hat, wo sich doch schon die halbe Welt nass macht. Aber nur fast…
Nun wurde ich also gleich zweimal auserwählt – und es ist wohl kein Zufall, dass die werte Dame, die sich dies traute, zurzeit auf Curaçao Urlaub macht, der noble Herr in British Columbia. Sie haben sich also in Sicherheit gebracht, sind jeweils über einen Ozean geflogen, ehe sie sich das trauten. Ich soll also das tun, was vor mir schon George W. Bush, Helene Fischer, Money Boy und Bayern-Maskottchen Bernie getan haben? Wer mich auch nur ein bisschen kennt, ahnt die Antwort: nein, no, njet, nee, nie.
Fassen wir mal kurz die Stufen der Ice Bucket Challenge zusammen:
1. Sportler und Promis in den USA übergießen sich mit eiskaltem Wasser, spenden mehr oder weniger gewaltige Summen und machen dabei auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam. Prima.
2. Die Eiskübelherausforderung wird zum Massenphänomen, erst in Nordamerika, dann auch in Europa. Millionen Promis und Normalos machen mit. Innerhalb weniger Wochen quillt insbesondere Facebook nur so über vor Wasser-Videos.
3. Allmählich finden es einige Leute doof, dass es mittlerweile mehr nasse Menschen als süße Kätzchen im Internet gibt. Sie nörgeln: Alle wollen doch nur darstellen, wie großzügig und wie kreativ sie doch sind. Und niemand denkt mehr an die Krankheit. Die doofe Helene Fischer erwähnt in ihrem Video nicht einmal den Hintergrund des ganzen Nassgemaches.
4. Die Ice-Bucket-Mitmacher keulen zurück: Wer mosert, ist doch nur eine Spaßbremse. Und man muss doch mal schauen, wie viel Geld (bisher ca. 70 Millionen US-Dollar) und wie viel Aufmerksamkeit für die ALS-Forschung zusammengekommen ist.
5. Du schaust auf Facebook, was so los ist in der Welt, und siehst: einen nassen Menschen nach dem anderen. Und du denkst: Erbarmen!
6. In ein, zwei Wochen rollt die nächste Video-Welle auf uns zu. Ice Bucket Challenge? Was war das doch gleich? War das vor oder nach den Gangman-Style-Videos? Sang man dazu “Happy”?
Ich will ja nicht meckern. Die Challenge ist mittlerweile nervtötend wie die schlimmsten Songs zur Fußball-WM, hat aber jedenfalls dafür gesorgt, dass sich mehr Leute als üblich Gedanken machen über Sinn oder Unsinn von Spendenaktionen dieser Art. Gut so! Leider passiert nur das, was so oft passiert im harten Verdrängungskampf um Spendengelder. Eine gute Sache erhält Publicity auf der ganzen Welt. Andere Organisationen gehen völlig unter. Zum Beispiel die Ärzte ohne Grenzen mit ihrem Kampf gegen Ebola – eine Krankheit, die hier offenbar nur interessiert, wenn Europäer oder Amerikaner betroffen sind. Und gab es da nicht noch ein paar andere Probleme auf dieser Welt – Ukraine, Irak, Gaza? Ach was, Schwamm, äh, Eiswasser drüber.
Ich gieße mir also kein Wasser über die Birne, sondern mache lieber darauf aufmerksam, dass gerade Sportler und deren Fans unzählige Möglichkeiten haben, etwas Gutes zu tun. Läufer sind da besonders aktiv. Vor allem im Ausland werden bei den City-Marathons von Organisatoren und Teilnehmern Millionensummen gesammelt. In Lüneburg gibt es zum Beispiel den “Run for Help” für MS-Kranke, den Firmenlauf für ein integratives Rudercamp oder Spendenläufe des MTV Amelinghausen für Hochwasseropfer aus aller Welt. Für Fußballer gibt es etwa unseren LZsport-Cup, mit dessen Erlös Kinder aus sozial schwachen Familien auch mal in den Urlaub fahren können.
Gießt euch meinetwegen weiter Eiswürfel übern Kopf. Aber vergesst dabei bitte nicht, dass es neben ALS-Erkrankten auch anderen Leute auf dieser Welt gibt, denen es nicht so gut geht wie euch. Seid einfach gut im Alltag, ohne das an die große Facebook-Glocke zu hängen.
Voll ins Schwarze! Ich glaube, dass einige die sich da mit Eiswasser übergießen, überhaupt nicht mehr wissen, wieso eigentlich. Grundsätzlich ja eine gute Idee, die aber mittlerweile völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Da laufe ich auch lieber einen Spendenlauf wie am Samstag, oder gebe hier und da einfach mal so was. Einen Eiseimer gießt mir auch niemand über den Kopf!