19. März 2024

Der Heide-Elbe-Ultramatsch

Schon wieder ein Jubiläum! Am 5. Oktober 2008, also vor fünf Jahren, fand erstmals der Heide-Elbe-Ultralauf statt. Die 62-Kilometer-Strecke führte von Bispingen nach Winsen/Luhe, ließ sich auch als Staffel bewältigen. Die zweite Auflage 2009 blieb leider die letzte. Immerhin: Ich habe bei der Premiere die zweite Hälfte der Strecke in Angriff genommen, ein Jahr später die erste – womit ich meinen ersten Ultralauf innerhalb nur eines Jahres gefinisht habe. Beide Auflagen hatten eines gemeinsam: das absolut grauenhafte Wetter. Hier meine damaligen Berichte:

Weiter, immer weiter - irgendwo zwischen Luhmühlen und Salzhausen.
Weiter, immer weiter – irgendwo zwischen Luhmühlen und Salzhausen.

Noch nie habe ich so viele Menschen innerhalb von kaum drei Stunden gesehen, die mich und meine Mitstreiter entgeistert angeschaut haben. Nach dem Motto: Warum machen die das ? Selbst die Kühe am Wegesrand mochten gedacht haben: Ich bin zwar eine dumme Kuh, aber bei Dauerregen stelle ich mich irgendwo hübsch unter und renne nicht durch die Gegend. Gut 500 Frauen und Männer taten es gestern trotzdem beim 1. Heide-Elbe-Ultralauf zwischen Bispigen und Winsen/Luhe. Mittendrin meine Wenigkeit, die sich die halbe Distanz ab Oldendorf bis Winsen gab.

Ab der fünften Pfütze ist alles egal

11.20 Uhr, Oldendorf/Luhe. Bloß schnell weg hier. Wenn ich im halbwegs warmen Zelt noch zehn Minuten grübeln würde, ob ich mir das bei Wind und Wetter wirklich antun will, steige ich wieder ins Auto. Die ersten Kilometer sind an sich eh nie das Problem, abgesehen vom Butterberg in Wetzen, der höchsten Erhebung meiner Hälfte. Linkerhand steht ein Haus zum Verkauf mit einem schlappen 2600-Quadratmeter-Grundstück. Daraus würde man in Lüneburg sicher gleich ein ganzes Baugebiet machen.

Kurz vor Luhmühlen geht’s über Kopfsteinpflaster quer durch den Pferdehof Reemtsma. Ein paar Feuerwehrleute halten sich bei einem Feuerchen warm. Ob ich mir wohl ein Pferd ausleihen kann ? „Das müssen sie den Chef fragen, der steht da gleich.“ Ich begnüge mich mit Tee und einem Bananenstück.

12.25 Uhr, Salzhausen. Hier ist richtig Party mit Blasmusik und mehr Zuschauern, als ich sie auf den ersten zwölf Kilometern zusammen gezählt habe. Danach wird’s aber einsam. Und matschig. Die erste Pfütze, in die ich voll reintrete, nehme ich noch fluchend hin. Die fünfte oder sechste registriere ich gar nicht mehr.

Allmählich kann ich die Ultraläufer von uns Normalos immer besser unterscheiden. Sie schlurfen mehr, als dass sie rennen, machen keinen Schlenker zuviel, können wesentlich besser mit ihren Kräften haushalten als US-Banken mit dem Geld anderer Leute. Verlaufen können sie sich aber auch. Bei Gut Schnede herrscht Konfusion. Fehlt ein Pfeil ? Oder ein Streckenposten ? Jedenfalls kommt mir unweit der Forellenteiche plötzlich eine ganze Meute schimpfend entgegen.

Eine herrliche Waldlandschaft dort übrigens. Wie sie wohl erst bei gutem Wetter aussehen würde ?

Mit Bananen und Tee gegen die große Läufer-Leere

13.20 Uhr, Bahlburg. So heißt nicht nur der Bürgermeister von Südergellersen, sondern auch dieser sehr aufgeräumt wirkende Ort an der Luhe. Ich schnappe mir am Staffelpunkt wieder Banane und heißen Tee. Ein Jungspund flitzt an mir vorbei, dann wird’s einsam um mich. Eine Krise pro Lauf ist Pflicht, ich habe sie jetzt. Es regnet wieder stärker, meine ehemals weißen Schuhe sind dunkelbraun, die Socken dürften jetzt das Dreifache wiegen, so voll mit Wasser sind sie. Aquajogging an der Luhe. Meine Oberschenkel fühlen sich allmählich so dick wie die von Gerd Müller an. Hätte ich mal doch Musik mitgenommen.

In Luhdorf gibt’s wieder was zu futtern – allmählich dürfte ich die Startgebühren allein durch Bananen und Tee drin haben. Ich bewundere die Leute von der Feuerwehr, vom Roten Kreuz und von anderen Vereinen, die sich über Stunden die Beine in den Bauch stehen, immer freundlich Getränke und Obst bereit stellen, die leeren Becher fleißig wieder einsammeln und Applaus selbst für den letzten verhinderten Haile Gebrselassie wie mich übrig haben. Laufen ist sicher weniger anstrengend als Helfen.

Früher habe ich mich gefreut, wenn ich das Ortsausgangsschild unserer lieben Nachbarkreisstadt gesehen habe, jetzt sehne ich mich nach dem Ortseingang. Nie wieder mache ich Witze über Autofahrer mit dem Kürzel WL ! Wenn denn jetzt endlich Winsen kommt !

14.15 Uhr, Winsen. Da ist das Ziel, keinen Kilometer zu früh. Euphorie ? Nein, nur Erleichterung. Ich bin einfach zu nass, zu kaputt, zu leer. Zur Abwechslung gönne ich mir neben Bananen und Tee einen Apfel. Regina, die erste Hälfte meiner 2 x 31-km-Staffel, wartet fröhlich winkend mit Mann und Hund auf dem Schlossplatz. „Wo ist Dusche ? Will wieder Mensch sein.“ Mehr Konversation bekomme ich nicht hin.

Fazit: Es gibt tatsächlich einen Punkt, ab dem man nicht mehr nasser werden kann. Und: klar, das macht richtig Spaß.

2009: Der letzte Berg ist immer der nächste

Ein Jahr später nahe Soderstorf: gleiche Jacke, etwas mehr Sonne - zumindest zeitweise.
Ein Jahr später nahe Soderstorf: gleiche Jacke, etwas mehr Sonne – zumindest zeitweise.

Laufen soll ein Genuss sein ? Quatsch. Laufen bedeutet in der Regel Schweiß, Schmerzen und einiges mehr, was mit „Sch“ anfängt. Es bedeutet, dass sonntags um 6.45 Uhr der Wecker klingelt, weil ich für den halben Heide-Elbe-Ultralauf angemeldet bin. Für die Hälfte, die mit giftigen Anstiegen gespickt sein soll. Giftige Anstiege ? Hier im Norden ? Der gebürtige Harzer in mir muss da doch grinsen. Dieser Lauf wird jedenfalls richtig genossen.

„Das muss jetzt aber der letzte Berg gewesen sein.“ Wie oft werden Mitläufer Thomas und ich diesen Satz noch aus uns herausquälen. Zwischen Bispingen und Hützel kein Problem. Sämtliche Leute um mich herum vergleichen laufend die Werte ihrer GPS-Uhren, tauschen Distanzen und Tempo aus. Ich brauch‘ den High-Tech-Firlefanz nicht. Zuverlässig weiß ich, dass ab Kilometer 15 die Füße schmerzen, bei 18,5 die Achillessehne zwickt und bei 23 die Oberschenkel nach Ruhe schreien.

Seit Ewigkeiten wohne ich übrigens in Lüneburg und hab’s noch nie richtig in die Heide geschafft. Urplötzlich bin ich mittendrin. Schwindebecker Heide heißt das Revier. Zwei, drei Kilometer quer durchs Kraut, hoch und runter. Schön knackig, aber auch einfach schön idyllisch.

Kurz vor Soderstorf. „Das muss jetzt aber der letzte Berg gewesen sein“, keucht Thomas. Gut, zumindest bis zum Sportplatz, auf dem ich meine Halbmarathon-Zeit kontrolliere. Au weia, knapp über Walker-Tempo, aber heute ist das egal. Nach Gut Thansen warten aber weitere letzte Berge. Zudem fängt es an zu regnen, aber richtig. Und ich denk‘ an den Kerl, der sich selbst vorhin dazu beglückwünscht hatte, nur im dünnen Leibchen zu rennen.

In Oldendorf scheint wieder die Sonne. Die GPS-Jünger streiten noch, ob wir wirklich 30 Kilometer in den Beinen haben oder vielleicht nur 28,9. Ich bestelle eine Bratwurst. Und genieße sie. Ein toller Tag.

Fotos: Marcel Baukloh

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