6. Dezember 2024

Echte Lümmel gehen nicht

Höchste Wortspielgefahr! Wer seine Veranstaltung „Lümmellauf“ nennt, der wird einkalkuliert haben, dass mancher Witz auf Kosten der armen Läufer gerissen wird. Dabei will ich mich über diesen Lauf wirklich nicht lustig machen, denn in Ahrensburg bekommt der Starter für läppische 8 Euro ein wundervolles Gesamtpaket geliefert: eine abwechslungsreiche Strecke, eine perfekte Organisation und nicht zuletzt als Zielverpflegung einen „Lümmel“ – in Gestalt einer Bockwurst, damit das mal für alle Zeiten geklärt ist.

„Alljährlich pilgern millionen Menschen ;-) nach Ahrensburg, um in den Genuß des Hagener Lümmels zu kommen, den es nur einmal im Jahr zum Lümmellauf gibt“, heißt es auf der Homepage des Veranstalters. Millionen scheinen an diesem Vormittag in der Grundschule Hagen unterwegs zu sein, um ihre Startunterlagen abzuholen. Wer unbedingt schon im Januar einen Volkslauf ansteuern will wie ich an einem ausnahmsweise terminfreien Sonntag, dem bleiben nicht allzu viele Ziele. Hey, mein erster Volkslauf in Schleswig-Holstein, denke ich nebenbei. Hey, in meiner Leiste links zwickt’s gewaltig, denke ich als nächstes. Wäre aber blöd, jetzt unverrichteter Dinge wieder abzureisen.

Also lass‘ ich es drauf ankommen – zur Not steige ich halt nach der ersten Kurve oder nach der ersten Runde aus. Die Schuhe im Sitzen zuschnüren, das tat weh. Ein paar Meter gehen, das tat auch weh. Laufen aber tut nicht weh. Das Wetter ist deutlich freundlicher als südlich der Elbe, die Strecke längst nicht so matschig wie befürchtet. Ein paar Meter durch den Ahrensburger Ortsteil Hagen wechseln sich munter ab mit Passagen durch den Wald.

Beeindruckt bin ich vor allem vom Burgweg. Würde mich wundern, wenn hier ein Haus für weniger als eine Millionen zu bekommen wäre. „Der soziale Brennpunkt von Ahrensburg“, raune ich meinem Nachbarn zu. „Hier kuckt keiner zu. Die halten uns bestimmt für bescheuert“, antwortet der.

Doch nach gut 5,5 Kilometern kommt er. Der Steg. Der weltberühmte Steg durch den Hagener Forst, der in etwa so viel Vertrauen ausstrahlt wie der griechische Staatshaushalt von 2008. „Der Steg wurde in den 50er Jahren im Rahmen eines deutsch/franzözischen Freundschaftsprogramms errichtet“, vermelden die Veranstalter. In den 1950ern oder vielleicht doch schon 1450?

Schieflage auf dem Steg

Links ein morsches Geländer, rechts ein morsches Geländer, unter uns rutschige Bohlen – und direkt darunter Wasser. Es platscht und quatscht bei fast jedem Schritt. Nach gut 200 Metern laufen wir sogar in leichter Schieflage, erst links, dann rechts. Ja, wir laufen. Auch wenn wir bestimmt vorm Start ein Dutzend Mal ermahnt wurden zu gehen. Aber wer geht schon freiwillig bei einem Volks-Lauf, wenn er noch etwas Puste hat? Eben. Immerhin: Wir laufen alle gaaaaanz vorsichtig, ehrlich!

Nun wird’s wirklich etwas crossig. Hoch und runter (zumindest, was man in Schleswig-Holstein an Hochs und Runters bieten kann), über Wurzeln, durch Pfützen oder an ihnen vorbei. „Bärbel, lauf doch durch die Pfützen“, muss sich eine flinke Frau von ihrem Begleiter anhören. Und: „Bärbel, nun dreh‘ dich nicht ständig um!“ Vielleicht sollte der gute Schrittmacher besser neben Bärbel laufen als fünf Meter hinterher?

Kurz vorm Ende der Runde wartet ein kleiner, aber knackiger Anstieg auf uns – in etwa so fies wie der Abschlussberg in Amelinghausen, der schon Hunderte von Läufern in den Wahnsinn getrieben hat. Tolle Runde. Und weil sie so toll ist, laufen wir sie noch ein zweites Mal. Jetzt konzentriere ich mich doch etwas mehr auf mein Tempo. Nachdem ich den Herbst 2014 unter das Motto „Ich brech‘ regelmäßig spätestens zur Halbzeit total ein“ gestellt habe, halte ich überraschenderweise diesmal meine Pace irgendwo zwischen 4:40 und 4:50 und überhole sogar noch ein paar Leute.

Ein frecher Lümmel mit einem Finisher-Shirt vom Amsterdam-Marathon wagt es aber, mich zu passieren. Ich überlege, ob ich ihn mit einem Austausch unserer Amsterdam-Erfahrungen ausbremsen kann, hefte mich dann aber doch wortlos an seine Fersen. Das Ziel ist in Sicht, Bärbel ebenso, ihr Begleiter längst nicht mehr – der ist wahrscheinlich in einer Pfütze steckengeblieben. „Ich überhol‘ doch nicht mehr, ich bin Gentleman“, meine ich zu ihr. „Kann nicht mehr“ oder ähnliches raunt sie mir zu. Also bin ich doch kein Gentleman, lasse Bärbel stehen und überhole sogar noch den Amsterdamer. Den letzten Kilometer bin ich angeblich in exakt vier Minuten gelaufen. Naja, ganz präzise war die Ausschilderung der Strecke wohl doch nicht.

Sonst aber passt alles. Ich bekomme erst aufmunternden Applaus, dann einen heißen Tee und schließlich den Lümmel. „Das haben wir uns jetzt verdient“, höre ich dutzendfach. Den Spruch hatte Frauschmitt jüngst zum siebtbeliebtesten Satz von Volksläufern gekürt. Gleich beim Kuchenbuffet, das ich offenbar auch an mir bisher komplett unbekannten Orten grundsätzlich innerhalb von zehn Sekunden gefunden habe, steht ein kleiner Automat, dem ich meine Startnummer verrate und der mir als Dank meine Zeit, den Altersklassen- und Gesamtplatz ausspuckt – und das wenige Minuten nach meinem Zieleinlauf. Toll!

Kein Kassenbon, sondern mein Ergebnis aus Ahrensburg.
Kein Kassenbon, sondern mein Ergebnis aus Ahrensburg.

 

Nicht so toll finde ich, dass der Gesamtsieger 23 Minuten und der Altersklassensieger fast 14 Minuten vor mir ins Ziel getobt sind. Das relativiert meine Zeit, mit der ich bis eben noch sehr zufrieden war, doch gewaltig. Immerhin: Bärbel hat in der W50 gewonnen, obwohl sie wegen ihrer Pfützenallergie doch bestimmt zwei Meter zuviel gelaufen ist. Ich tausche noch mit wenigen bekannten und vielen unbekannten Gesichtern ein paar Sätze aus. Keiner meckert über irgendetwas, alle fanden es hier toll. Hach, und ich hab’s fast ohne Wortspiele hinter mich gebracht. Dann kann ich mich jetzt endlich aufs Sofa lümmeln…

PS: ahrensburg24.de bietet einen Bericht und hübsche Fotos vom Lauf.

 

Ein Gedanke zu “Echte Lümmel gehen nicht

  1. Hallo und vielen Dank für den schönen Bericht! Gefällt mir sehr gut! Das Kuchenbuffet, die „Lümmel“ und den Automat kenne ich noch gut vom letzten Jahr 🙂 Zum 19 km-Stegjogger sollte ich wohl in den nächsten Jahren werden, solange dieser noch steht… Mal schauen 🙂 Herzliche Grüße

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