Heute bin ich ganz gemütliche 30 Kilometer in 2:47 Stunden gelaufen. An sich ein simpler Satz mit Substantiv, Prädikat und etwas Klimbim drumherum (sowie einer ordentlichen Portion Angeberei). Aber: Ich und laufen – eine gewöhnungsbedürftige Kombination. Wie ADAC und Vertrauen, wie VfL Bochum und Titel. Schuld daran war allein der Sonnenberg am Ortsrand von Seesen am Harz. Und mein Sportlehrer in der 7. Klasse.
Ein Pädagoge, der seine Schutzbefohlenen vom Jacobson-Gymnasium Seesen bis nach Engelade rennen lässt und dann über den schon zitierten Sonnenberg zurückjagt, macht sich nicht unbedingt Freunde. Wenn dieser Pädagoge (die Gänsefüßchen könnt ihr euch dazudenken) die Quälerei gemütlich aus seinem Auto heraus verfolgt, dann hat er ihn endgültig gelegt: den Grundstein für eine lebenslange Lauf-Phobie. Bei mir jedenfalls. Nein, er hieß nicht Werner Lorant und auch nicht Thomas Springstein. Er verteilte meines Wissens weder Nikotinpflaster noch Pillen.
Ich begann Leichtathletik zu verabscheuen. Erstens wegen des Lorant/Springstein-Verschnitts. Zweitens mangels eigenen Talents – Bundesjugendspiele waren für mich schlimmer als Zahnarzt, Latein-Vokaltest und Besuch bei der doofen Tante in W. zusammen. Und drittens wegen des obskuren Völkchens, das diese olympische Kernsportart repräsentierte. Ich sage nur: Jarmila Kratochvílová. Rennende Apotheken. Muskelberge unbestimmten Geschlechtes. Langstreckler, gegen die jede russische Kunstturnerin wirkt wie ein Fall für die Weight Watchers. Eine Sportart, so glaubwürdig wie Mitternachts-Quizsendungen auf Nepp 5.
Erstes und letztes Sportabzeichen
Ich weiß nicht, wie oft ich während meiner Schulzeit am Fuße des Sonnenbergs sprinten oder weit springen musste. Auf Note, selbstredend, ohne dass mir jemals ein Lehrer auch nur ein Wort über Weitsprung-Technik verraten hat. Am schlimmsten aber waren meine Versuche, 50, 75 oder 100 Meter schnell zu laufen. Einmal fehlte mir für das Sportabzeichen noch der Nachweis, die 100 Meter in 14-komma-irgendwas Sekunden zu laufen. Ich hab’s beim ersten Versuch nicht geschafft, beim zweiten auch nicht. Beim ich-weiß-nicht-wievielten ergänzten sich dann eine Sturmbö in meine Laufrichtung und eine Gnade vor Recht gehende Zeitnehmerin zur gewünschten Norm. Mein erstes Sportabzeichen – und auch mein letztes. Ich hatte nie wieder Lust auf diese Tortur.
Andere Sportarten waren auch schlimm. Volleyball zum Beispiel, obwohl es mir durchaus Spaß machte und ich glaubte, ein bisschen Talent zu haben. Bis ich mit einem Partner der gnädigen Frau Lehrerin auf Note etwas vorpritschen und -baggern sollte. Ich erntete eine Sechs – warum, weiß ich bis heute nicht. Handball: Alle aus dem Verein – und das waren viele – rammten den kläglichen Rest gnadenlos um; ich dürfte mehr blaue Flecken als Ballkontakte gehabt haben. Oder Ringen: Ja, ein Lehrer der etwas konservativeren Sorte ließ uns zwischen Reckturnen und Faustball auch mal ringen. Er stieß auf riesige Begeisterung. Wir stellten uns paarweise auf, umklammerten vorsichtig jeweils die Unterarme unseres „Gegners“ und standen dann zwei Minuten herum, ohne dass irgendjemand eine Attacke auch nur andeutete. Es blieb bei dieser einen Ringer-Stunde. Die Woche drauf waren wir bestimmt wieder laufen…
He, das könnte von mir sein! Unglaublich, wie einem der Schulsport den Spaß an der Bewegung vermiesen konnte. Und wie hast du dich mit dem Laufen versöhnt?
Ich habe Sport studiert (brauchte noch ein zweites Nebenfach ohne allzu großen Lernaufwand…) und war sogar Leistungsschwimmer, aber selbst da bin ich höchst ungern gelaufen. Das kam erst 2006, als ich nach vielen schludrigen Jahren unbedingt wieder etwas für meine Fitness und gegen meine Pfunde tat und mich in einem Studio angemeldet habe. Habe dann ohne großes Nachdenken Laufschuhe gekauft: Der Effekt war schnell da (erster Volkslauf kein halbes Jahr später), und sehr bald habe ich dazu tolle Leute übers Laufen kennengelernt.