28. März 2024

Zeitlos glücklich in Apeldoorn

Was für eine schöne Szene. Es nieselt, es ist kalt und windig. Und trotzdem spielt die holländische Blaskapelle munter weiter. Gut 12.000 Aktive sind beim Midwinter Marathon in Apeldoorn auf die Strecke gegangen, die allerletzten werden aber an der Ecke Laan  van Spitsbergen/Asselsestraat auch noch  angefeuert. Von den Musikern, von den Anwohnern – und von mir, dessen warme Dusche auch nur ein paar hundert Meter entfernt ist. Doch die muss an einem so ereignisreichen Tag noch warten.

Da ist Musik drin - so werden auch die letzten 8-km-Läufer angefeuert.
Da ist Musik drin – so werden auch die letzten 8-km-Läufer angefeuert.

Apeldoorn hat mich verzaubert. Und das war am Tag zuvor noch gar nicht abzusehen. Im Hostel hatte sich eine bunte Mischung eingefunden. Eine tschechische Laufgruppe, die vor Ehrgeiz und Disziplin nur so strotzte. Sieben Mitglieder des brandenburgischen Lauftreffs Nauen/Falkensee, die alles etwas lockerer angingen. Und schließlich eine einheimische Studentengruppe, die offenbar nie schlief. Während in Apeldoorn die Bürgersteige pünktlich hochgeklappt wurden, erwies sich das Hostel als Hot Spot der Fetenkultur im Gelderland. Am Abend vorm Rennen gab es allerdings Unstimmigkeiten über die Verpflegung.

Die Tschechen hatten sich – O-Ton des Hostelmitarbeiters – eine Marathon-Diät gewünscht, die aber nur streng rationiert ausgegeben wurde. Mein Eine-Frau-Fanclub Carola wurde nicht an die Futtertröge gelassen, teilte diesem Mitarbeiter charmant, aber deutlich formuliert mit, wie unflexibel sie dieses Vorgehen findet. Ehe die Stimmung allzu ongezellig zu werden drohte, zog ich sie lieber in die Stadt zu einer Pizzeria. Wahnsinn, die war um 18 Uhr tatsächlich noch nicht geschlossen. Meine Marathon-Diät bestand aus Pizza mit Spargel und Champignons, später gönnte ich mir sogar ein großes Bier. Ein Prosit auf die Tschechen und auf einen neuen Zimmermitbewohner, der offenbar schon einmal etwas von Dieter Baumann gehört hatte, so oft, wie der sich die Zähne putzte.

Am Wettkampftag selbst sind die Tschechen und der eifrige Zähneputzer um 8 Uhr schon nicht mehr zu sehen, obwohl der Hauptlauf erst um 12 Uhr beginnt. Der Startschuss fällt bei vielen Veranstaltungen in den Niederlanden erst so spät, damit man aus allen Landesteilen noch bequem am gleichen Tag anreisen kann. Mit den Brandenburgern diskutiere ich, wann wir wohl am besten den Pendelbus nehmen sollten. Ich schlage 10 Uhr vor, die Brandenburger nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre 9 Uhr. Okay, letztlich hätte auch 11 Uhr gereicht. Denn im Congrescentrum Orpheus rennen viele tausend Läufer aufgeregt herum und spielen eine gigantische Reise nach Jerusalem – mehr als ein paar hundert Sitzgelegenheiten gibt es für sie nicht. Die Marathonmesse besteht aus einem Stand mit Laufklamotten, einem Stand mit Sportlernahrung sowie einer freundlichen Frau, die eine Chronik über den Midwinter Marathon feilbietet.

Blick auf eine große Kirche und viele nervöse Läufer.
Blick auf eine große Kirche und viele nervöse Läufer.

Nach gefühlten sechs Stunden Wartezeit ist es doch irgendwann kurz vor 12 Uhr. Der Wind pfeift mir um die Ohren, Regen ist angesagt. Ich habe mich nach einigem Hin und Her für meine Warmduscherausrüstung mit Windjacke und langer Hose entschieden, auch wenn um mich herum genügend Leute mit Singlet und Shorts herumrennen. Das Leben in den Niederlanden scheint abzuhärten. Wir von der 27,5 km langen Asselronde und die Marathonis legen gemeinsam los. Erstmals in meinem kurzen Läuferleben darf ich in den Startblock A. Hatte ich bei der Anmeldung meine 10-km-Bestzeit angegeben? Entwarnung: Die ernstzunehmenden hardloper finden sich in Block W wie wedstrijder, die Hobbyjogger dürfen sich die Blöcke A bis C teilen.

Dass unser Kurs recht krachtig ausfällt, deuten schon die ersten Kilometer an. Nach vier Kilometern, vorzugsweise gegen den heftigen Westwind, kommen wir direkt am Hostel vorbei – Aussteigen wäre jetzt direkt eine Alternative. Denn nun folgt der fiese Anstieg nach Hoog Soeren. Kilometerlang geht es bei heftigem Gegenwind stetig bergauf, bis auf für niederländische Verhältnisse schwindelerregende 90 Meter über Normalnull. Wie schnell bin ich eigentlich? Meine Uhr sagt – nichts. Godverdomme, die Anzeige hatte in den letzten Wochen schon stärker nachgelassen als ich bei manchem Berglauf. Nun blickte ich nur noch auf ein graues Viereck. Was für ein Zufall: Vor mir entdecke ich einen größeren Pulk, angeführt vom Pacemaker, der eine große 3:30 auf seinem weißen Ballon stehen hat. 3:30 – das bedeutet Fünferschnitt, das müsste ich doch hinbekommen?

Marinus, der Ballonläufer, und sein Gefolge. Foto: Rob Voss.
Marinus, der Ballonläufer, und sein Gefolge. Foto: Rob Voss.

Wir passieren Hoog Soeren, einen Ortsteil von Apeldoorn, der nicht eben als sozialer Brennpunkt gilt. Direkt hinter dem Golfplatz fängt die Heide an. Endlich geht’s mal ein bisschen bergab, dafür wird’s noch windiger. Wir haben die Straße längst verlassen, doch trotz tagelanger Regenfälle lässt es sich im Wald und auf der Heide wunderbar laufen. Kurz hinter Assel grasen ein paar urig aussehende Schweine (sagt man bei Schweinen auch grasen?). Ich muss lachen – hatte mir Carola am Vorabend nicht Begegnungen mit gefährlichen Wildschweinen prophezeit? Nun, mehr als diese paar harmlosen Hausschweine werden mir nicht begegnen. Schwein gehabt.

Um mich herum nur Niederländerinnen und Niederländer, die ihrem Ruf als kommunikationsfreudiges Völkchen eindeutig gerecht werden und auch mich mit in ihren Kaffeklatsch einbeziehen. Ab Kilometer 16 wird es aber merklich ruhiger im Feld. Wir verlassen den Wald, biegen auf den Amersfoortseweg ab, auf eine recht frisch asphaltierte Landstraße, auf der wir noch einige Höhenmeter machen müssen. Ich muss kurz abreißen lassen, kämpfe mich aber bergab wieder an Ballonläufer Marinus und sein Gefolge heran. Die Halbmarathon-Marke passieren wir bei knapp unter 1:45, Marinus macht wirklich einen sehr guten Job (er wird später bei 3:29 ins Ziel kommen). Mir wird ein bisschen warm unter der Mütze, doch ich geb‘ noch Gummi, bedanke mich bei Marinus für seinen guten Job und biege ab Richtung Loolaan, während die Marathonis noch eine „kleine“ 15-km-Extrarunde vor sich haben. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich nicht dieses Vergnügen teilen werde, denn irgendwann ist jetzt doch genug.

Die Zielankunft - ich führe den Rest des Feldes an ;-) Foto: Jop Boon.
Die Zielankunft – ich führe den Rest des Feldes an 😉 Foto: Jop Boon.

Auf der zugigen Zielgeraden ist bei meiner Ankunft eher wenig los – will denn niemand die Ankuft des 468. Manns und des achtschnellsten Deutschen bewundern? Ich passiere noch zwei, drei Läufer, werde aber von zwei, drei anderen überholt. Nach 2:15:47 Stunden ist der Spaß vorbei. Ich bin doch ein bisschen stolz auf mich. 4:56 min/km im Schnitt, das ist exakt das gleiche Tempo wie bei meiner Marathon-Bestzeit. Ein Tempo, das ich aber nie und nimmer noch fast 15 km gehalten hätte.

Wenn es etwas zu bemeckern gibt, dann die „Verpflegung“ im Ziel. Meinen Becher Tee muss ich mir schon selbst einschenken, da die Helferin gerade telefoniert. Selbstbedienung ist nicht vorgesehen. Sie wird fuchsig, ich verstehe plötzlich nur noch station. Zu essen gibt es gar nichts, erst in der Schule, in der unsere Umkleide eingerichtet ist. 1 Euro für einen ungenießbaren Kaffee aus dem Plastikbecher, 1 Euro für ein appeltaartje, das ungefähr so groß ist und so elend schmeckt wie ein Yes-Torty, diese kulinarische Geißel der Achtziger.

Eine richtige Gänsehaut bekomme ich aber beim Gang von der Umkleide zurück zum Congrescentrum Orpheus. Der 8-km-Lauf wird gerade bei langsam einsetzendem Dauerregen gestartet. Tausende rennen los, unzählige Teenies sind dabei, haben sichtlich ihren Spaß, feiern sich und die große Laufparty. Die Stimmung ist lekker makkelijk, schön einfach und längst nicht so wettkampfmäßig verkrampft wie oft bei uns zu Hause. Ich erwische den Pendelbus zurück Richtung Hostel und sehe dort noch den letzten Schwung, angefeuert von der Kapelle etc., um die Ecke biegen. Was für ein schönes Bild. Da sind einige dabei, die schon hier bei Kilometer 4 schnaufen, rot angelaufen sind oder sich Gehpäuschen gönnen. Und die doch lachen, als sie die Kapelle und die weiteren Zuschauer erblicken.

Unter den ersten Zehn des Marathons finden sich übrigens fünf Tschechen, offenbar hat die Diät doch etwas gebracht. Der Sieger, Mulugeta Serbesa, ein tschechischer Arzt mit äthiopischen Wurzeln, äußert im Interview, dass er eigentlich te lang en te dik ist, um eine Topzeit zu laufen. Sag‘ ich über mich doch auch schon seit Jahren…

So, und nun unsortiert noch meine restlichen Fotos vorm Start und von den kürzeren Rennen:

Links:

Der LT Nauen/Falkensee hat seine Fotos schon online.

Michiel van der Blij bedankt sich auch beim Ballonläufer.

Richtig tolle Fotos hat Rob Voss geschossen.

Ein Gedanke zu “Zeitlos glücklich in Apeldoorn

  1. Bester Saffti, ein richtig tolles blog über „onze Midwinter Marathon“. Ich hoffe das sie auch beim 41ste version darbei bist.
    U bent op 2 februari 2014 van harte welkom.

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