Wir waren immer zu viele. Wir vom Jahrgang 1964, dem geburtenstärksten Jahrgang. Wundersamerweise habe ich gegen alle Prognosen (Schülerschwemme und Studentenschwemme!) doch Grundschule, Gymnasium, Universität, Jobsuche, Wohnungssuche und sogar die Partnersuche trotz hunderttausendfacher Konkurrenz irgendwie gemeistert. Zu viele sind wir aber immer noch – bei jedem Lauf in meiner Altersklasse. Doch es bröckelt. Und das gibt mir erst recht zu denken.
Vor ein paar Jahren noch bin ich bei den meisten Volksläufen der Region im SALAH-Cup Siebter, Achter geworden, oft genug auch gab es zweistellige Platzierungen für mich. Im vergangenen Jahr entwickelte ich mich zum Meister der vierten und fünften Ränge. Und in dieser Saison freute ich mich bei vier Rennen schon über drei zweite Plätze in der M50. Ich bin nicht schneller geworden, hatte vielleicht auch ein bisschen Glück, dass ich bisher die Zehner bevorzugt habe, viele Cracks aber auf den längeren Distanzen waren. Aber allmählich frage ich mich doch: Wo sind eigentlich die superfixen Konkurrenten von früher geblieben?
Nicht wenige von der ganz schnellen Sorte sind einfach von der Bildfläche verschwunden, plagen sich mit hartnäckigen Verletzungen herum oder haben ihre Prioritäten verschoben (Ultralauf, Trail, Triathlon, neue Freundin…). Manche treffe ich ab und zu einmal in der Stadt. Sie erzählen mir, dass sie keine Lust mehr darauf haben, ewig die gleichen Leute bei den gleichen Läufen zu sehen, machen jetzt Yoga oder schauen regelmäßig Volleyballspiele an. Manche habe ich für ihren Trainingseifer bewundert und dafür, dass sie kaum einem Jahr nach ihren ersten Schritten schon einen fantastischen Marathon gelaufen sind. Leider sind viele von ihnen noch schneller wieder weg, als dass sie gekommen sind.
Diese Grafik, die mir Peter Greif netterweise zur Verfügung gestellt hat, zeigt das ganze Dilemma – aufgeführt sind die männlichen Halbmarathon-Finisher in Deutschland, sortiert nach Altersklassen. In der M50 tauchen noch 30.000 Herrschaften auf, in der M55 nur noch knapp 15.000, in der M60 hat sich die Zahl noch einmal halbiert. 60 ist doch noch kein Alter! Ich nehme stark an, dass sich eine Minderheit wegen Verletzungen oder Alterserscheinungen ausklinkt. Laufen hält doch jung, oder? Andererseits müssen meine Altersgenossen und ich jetzt doch sehr aufpassen – jeder Zweite von uns wird in fünf Jahren keinen Halbmarathon mehr laufen wollen oder können. In zehn Jahren ist nur noch jeder Vierte dabei.
Dabei sind auch (oder gerade) die älteren Läufer durchaus ehrgeizig, wie eine aktuelle Umfrage auf marathon4you zeigt. „Lässt der Ehrgeiz auch einmal nach? Spätestens vielleicht dann, wenn die Leistungskurve irgendwann nach unten zeigt? Nicht unbedingt. Für viele geht die Jagd nach Rekorden und Pokalen dann in den Altersklassen weiter“, heißt es dort, denn mehr als 87 Prozent aller User antworteten Ja auf die Frage „Ist Dir die Altersklassenwertung wichtig oder findest Du sie richtig?“ Bei Männern dürfte es eine nahezu 100-prozentige Zustimmung geben, schätze ich.
Wie die zweite Grafik von Peter Greif zeigt, steigt die Durchschnittszeit der Halbmarathonis erst ab der M50 spürbar an. Der 45-Jährige läuft im Schnitt exakt so schnell wie der 18-Jährige, danach aber nagt der Zahn der Zeit auch an den Bestzeiten. Spät Eingestiegene wie ich können auch mit 50 noch Bestzeiten laufen, bald aber sind sie an einem Punkt angekommen, an dem es nur noch mit intensiverem Training weitergeht. Und da teilt sich die Meute: Viele der Bestzeit-Orientierten resignieren, hören auf oder laufen nur noch zum Spaß (als wenn Bestzeiten ihnen keinen Spaß gemacht hätten). Die Wettkampf-Orientierten freuen sich, dass auch die Konkurrenz langsamer wird oder die Schuhe an den Nagel hängt.
Und ich? Ich gucke, wie ich noch etwas effektiver trainieren kann, will es aber auch nicht übertreiben. Laufen soll ja ein Sport nicht für dieses Jahr, sondern fürs Leben sein. Wenn mir heute eine Fee erscheinen und mir eine fantastische Marathon-Zeit inklusive glorreichem Altersklassen-Sieg versprechen würde unter der Bedingung, dass ich danach nie wieder einen laufen darf – ich würde keine Sekunde zögern und ablehnen. Ehrlich!
Beitragsbild: pixabay
Lieber Andreas,
wahrscheinlich kommt es auf die Motivation an: Wer immer noch schneller werden will, kapituliert irgendwann vor der natürlichen Verlangsamung im „Alter“. Wer aber den Spaß an der Freude hat, Erlebnisse im Rahmen von Laufen schätzt, der macht weiter. Vielleicht verschieben sich mit dem Alter auch die Prioritäten und Ranglisten werden zweitrangig und die Anziehungskraft des Sofas steigt. Wer weiß. Wäre doch mal ein nettes Forschungsprojekt…
Danke fürs Buch!
Liebe Grüße
Elke
Hallo,
bin gerade letzten Monat in die Elite der M50 Läufer aufgestiegen. Inzwischen glaube ich auch nicht mehr, dass ich einen neuen deutschen Rekord laufen werde – aber darauf kommt es auch nicht an. Mir macht laufen Spass. So lange ich nicht vom Besenwagen aufgesammelt werden, werde ich auch weiterlaufen. Zudem kommt mir zu Gute, dass ich erst spät angefangen habe, d.h. ich kann durch strukturiertes Training auch noch etwas an meinen Bestzeiten feilen.
Das ganze aber nur deswegen an den Nagel zu hängen, weil man keine PBs mehr laufen kann, ist der falsche Ansatz. Laufen ist wie Metal – das ist eine Lebenseinstellung – und die behält man, bis zum Ende, oder bis einen die Athrose in die Knie zwingt :-).
P.S. Sehr schöner Beitrag!!!!!
Gruß
Dietmar
So sehe ich das auch. Wer nur läuft, um tolle Plätze zu belegen und/oder tolle Zeiten zu erzielen, der hört eher auf, wenn es nicht mehr vorangeht. Naja, bei mir ist Laufen eher wie Hip-Hop 😉
Hey Andreas, als dein Namensvetter und Altersgenosse habe ich durch den Link von Frau Schmitt deinen Blog entdeckt. Ich laufe seit 10 Jahren und durfte mich im April tatsächlich noch einmal an einer persönlichen Marathon-Bestzeit erfreuen! Vermutlich zum letzten Mal, das macht aber gar nichts, denn auch ich möchte vor allem noch ein paar Jahrzehnte Spaß an der Lauferei haben, da verlieren nackte Zahlen an Gewicht.
Bei mir geht das auch mit einem Trend zu längeren Strecken und Landschaftsläufen einher. Ich tauche daher weniger oft in Ergebnislisten von 10km- und Halbmarathons auf. Womöglich geht das einigen Leuten so und die Statistik, die sinkende Lauflust zu belegen scheint, täuscht.
Egal, Daumen hoch für deinen Blog und für deine Einstellung zum Sport.
Schönen Gruß,
Andi