Endlich habe ich mich doch getraut. Trotz ewig langer Pause und fehlender Form. Endlich habe ich beim MTV Borstel-Sangenstedt meinen 88. Volkslauf absolviert, mehr als zweieinhalb Jahre nach meinem 87. Was ist seitdem alles passiert? Das Laufen gegen die Uhr fühlt sich ganz anders an. Und doch ist einiges so geblieben wie bei den vielen Starts bis 2020.
Für mein Comeback habe ich mir Borstel ausgesucht. Allein in Niedersachsen heißen sieben Orte so – ich kenne aber nur den Winsener Stadtteil, in dem der MTV Borstel-Sangenstedt beheimatet ist. Vielleicht hat sich Borstel auch mich ausgesucht. Fast hatte ich mich schon damit abgefunden, auch 2022 keinen Volkslauf besuchen zu können, da diverse Veranstaltungen abgesagt wurden.
Doch dann machte Stefan von den Düvelsbrook Dynamics Reklame für Borstel. Für die größte vorangemeldete Gruppe gab es einen Pokal und 50 Euro – na, das sollte an mir doch nicht scheitern. Mit vier Leutchen verpassten wir aber dieses Ziel nur haarscharf…
Mein neues Läuferleben hatte ich mit meiner frisch gekauften Laufuhr exakt am 28. August begonnen. Kreuzlahm bin ich geworden, Long Borreliose schlägt voll zu. (Long Faulheit zuvor sicher auch.) Bei meinen Runden habe ich mich seitdem immerhin von einer 6:30er-Pace auf knapp über sechs Minuten pro Kilometer gesteigert. Konnte ich anfangs kaum einen Zehner ohne Gehpausen schaffen, bin ich inzwischen bei gut 15 km angelangt. Ich fühlte mich wie ein Anfänger, der ganz allmählich Fortschritte macht. Und so wollte ich auch mein Comeback angehen. Demütig und vorsichtig.
20 Grad und Sonne Ende Oktober – heftig. Immerhin sollte der Kurs nach ein paar Metern über die Wiese und einer kleinen Runde um den Fußballplatz herum in den Wald führen. Gut. Ich startete, wie so oft auch bei den bisherigen 87 Volksläufen, doch wieder schneller, als ich eigentlich wollte. Nach gut 3,5 km überquerten wir die Autobahn A39, nur wenige Minuten später die Bahnlinie zwischen Lüneburg und Winsen. Uff.
Ich gönnte mir auf diesen Brücken kurze Gehpausen. Lass sie doch laufen, dachte ich nur. Insgeheim befürchtete ich doch, dass mich ansonsten die letzten Feiertagswalker tags darauf im Wald aufgelesen hätten. Mich plagte also kein schlechtes Gewissen. Irgendwie ankommen war mein allererstes Tagesziel, durchlaufen höchstens mein achteinhalbtes.
Sehr bald kamen mir die Schnellsten entgegen. Ach, gar keine Runde, sondern ein Wendekurs! Ist ja nett. Einmal beim Laufcup der LG HNF habe ich damit ganz gute Erfahrungen gemacht, einmal in Bad Bevensen fürchterliche. Das bedeutete natürlich auch, dass ich die beiden Brücken noch einmal passieren musste. Und dass dieses Rennen ansonsten außer Wald, Wald und Wald keine Abwechslung bot. Ein sehr kontemplativer Lauf, hätte meine Liebste sicher gedacht. Ich fand’s, nun ja, bisweilen doch ein bisschen zäh.
Mir fiel der Spruch von Manfred Steffny ein: „Vorne laufen die Bleistifte, hinten die Radiergummis.“ Ich trieb eindeutig zwei Radiergummis vor mir her. Männer, die sicher von ihren Frauen gesagt bekommen, dass ihnen etwas mehr Bewegung auch mal gut tun würde, weswegen sie im Frühling fünfmal und seit dem Sommer noch einmal pro Monat laufen waren. Aber ich soll und darf ja nicht lästern – die sind ja sogar ein paar Sekunden schneller als ich.
Kurz vorm Sportplatz war nur noch eine Frau vor mir, die angefeuert von Mann und Kindern geradezu Richtung Ziel schwebte. Als Gentleman unterließ ich natürlich jeden Überholversuch. Allerdings: Für den hätte ich auch keine Kraft mehr gehabt.
„Du siehst immer so locker aus, wenn du ins Ziel kommst“, durfte ich mir später anhören. Wirklich? Ich hatte wenigstens – zum allerersten Mal mit meiner neuen Uhr – einen Zehner (knapp) unter einer Stunde geschafft, war nicht Letzter geworden, nicht mal in meiner Altersklasse. Und doch konnte ich es nicht lassen, diesen doofen Vergleich mit früheren Großtaten. Bei meinem allerersten Volkslauf in Scharnebeck, gut ein halbes Jahr nach meinen ersten Schritten, war ich deutlich schneller unterwegs als diesmal. Aber: Da war ich auch 15 Jahre jünger und wusste noch gar nicht, was eine Borreliose ist.
Ich genoss den gemütlichen Teil, das Plaudern mit bekannten und unbekannten Mitstreitern. Der eine will noch einen Marathon in Israel bestreiten, die anderen wollen ihren Spaß beim Adventslauf in Ratzeburg haben. Nur ich backe erst einmal ganz kleine Brötchen. Einen Halbmarathon überhaupt einmal durchstehen, das wäre ein Ziel für 2023. Aber eher wohl nicht in Borstel, denn dann müsste ich ja achtmal über Brücken laufen oder gehen.
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