20. April 2024

Hier hat Lüneburg laufen gelernt

Aus und vorbei. 49 Jahre lang gehörte der Tiergartenlauf des MTV Treubund fest zum Lüneburger Sportkalender. Die 50. Auflage, geplant für den 13. September, fiel aber dem Corona-Virus zum Opfer. Ob diese Jubiläumsveranstaltung jemals doch noch nachgeholt werden kann, ist völlig offen. „Wenn da nicht noch einer vom Himmel fällt, dann war es das“, bedauert der langjährige Organisator Wilhelm Stumpenhausen.

Die Landeszeitung berichtete 1971 von der Premiere des Lüneburger Volkslaufs ausführlich im Lokal- und im Sportteil.

 

„Möge dieser friedliche Wettstreit zu einer ständigen Einrichtung in unserer Stadt werden“, wünschte sich der damalige Oberbürgermeister Alfred Trebchen am 18. April 1971 direkt nach der Premiere des Tiergartenlaufs, der sich damals noch Internationaler Volkslauf nannte. Nur die Männer durften ein oder zwei Runden à zirka zehn Kilometer durch den Tiergarten laufen, Frauen und der Nachwuchs bewältigten kürzere Distanzen im Kurpark.

„Keiner war mit vollem Magen gelaufen, obwohl es Bratwurst an mehreren Buden gab.“
Aus dem LZ-Bericht zur Premiere des Tiergartenlaufs 1971

Rund 1400 Aktive machten aber damals schon mit – in Leibchen aus Baumwolle und ledernen Turnschuhen. Wenige Jahre zuvor galten Läufer noch als komische Käuze, Läuferinnen gar wurden über Jahrzehnte Strecken jenseits der 800 Meter offiziell gar nicht zugetraut. Aus den USA schwappte aber die erste Jogging-Welle über den großen Teich, 1967 war nicht nur das Jahr, in den Kathrine Switzer als erste Frau – damals noch illegal – am Boston-Marathon teilnahm. Zeitgleich entstand auf Initiative von Theodor Aßmann und Karl-Heinz Köller die Volkslauf-Abteilung im MTV. „Vorher hat der Theodor noch geraucht wie ein Schlot“, erinnert sich Klaus-Peter Werner.

Der inzwischen 78-jährige Lüneburger moderierte den ersten Lauf – und fast alle der 48 folgenden. „Ich habe nur fünf oder sechs wegen Dienstreisen oder wegen privater Familienfeiern verpasst“, erzählt Werner. Start und Ziel lagen fast grundsätzlich auf dem Platz an der Uelzener Straße. Nur einmal war die Bahn so aufgeweicht, dass man kurzfristig auf die Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße umzog. Und auch der Streckenverlauf durch den Tiergarten hat sich über die Jahrzehnte kaum verändert. 36:24 Minuten benötigte der erste Sieger, Wilhelm Maltzahn vom Veranstalter MTV, für die 10,2 Kilometer. Die Zeit hätte oft genug auch in späteren Jahrzehnten für den ersten Platz gereicht.

Zum schönsten deutschen Volkslauf gewählt

Ein wenig exotisch wirkten die Läufer der ersten Stunde aber doch auf manchen Beobachter, zum Beispiel auf den damaligen LZ-Berichterstatter: „Keiner war mit vollem Magen gelaufen, obwohl es Bratwurst an mehreren Buden gab“, wunderte der sich. Und kam zum Schluss: „Mit Bier und Zigaretten hielten es nur die Zuschauer, die sich mitunter neidisch fragten: Ob ich meinen Bauch wohl auch über die zehn Kilometer kriegen würde?“

Immer mehr versuchten es zumindest. 2007 Aktive erreichten 1974 das Ziel – ein Rekord, der nicht mehr gebrochen werden sollte. Ein Jahr später wurde Lüneburg zum schönsten deutschen Volkslauf gewählt. Goldene Zeiten unter dem Trimm-dich-Motto „Laufen ohne zu schnaufen“. Der Begriff „Walking“, ob mit oder ohne Stöcke, war damals noch nicht bekannt, dafür wanderten oft mehrere Hundert Frauen und Männer durch den Forst.

Unzählige Kinder liefen erstmals auf dem Platz des MTV Treubund gegen die Uhr – wie hier Dennis Kuhn und Anika Menklein 1983. Foto: Archiv LZ

 

1978 durften die Frauen erstmals beim Hauptlauf mitmachen, vier wagten sich gleich auf die 19-Kilometer-Distanz, wie die Ergebnisliste in der LZ verriet. Allerdings mit einer Einschränkung: „Teilweise war es ein schwieriges Unterfangen, mussten da doch etliche unleserliche Schriften der Teilnehmer entschlüsselt werden. Bei einigen war auch bei bestem Bemühen nichts zu entziffern.“ Damals wurden die Zeiten noch mit einer Stempeluhr im Ziel ermittelt, später per Stoppuhr. Erst 2007 begann das Zeitalter der elektrischen Anmeldung und Auswertung.

Doch allmählich bröckelte die Begeisterung, die erste große Laufwelle verebbte. „Es ist traurig. Die großen Veranstalter nehmen den kleinen die Leute weg“, klagte Köller 1987, als der Hamburg-Marathon parallel stattfand und das Feld in Lüneburg merklich schrumpfen ließ.

Stadt erzwingt Umzug in den Herbst

Seit 1992 fand der Tiergartenlauf statt im April immer am zweiten Sonntag im September statt, da die Stadt keine Veranstaltungen in ihrem Forst während der Brut- und Setzzeit mehr zuließ. Im Jahr 2000 war mit nur noch 286 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tiefpunkt erreicht – unter anderem, weil damals am gleichen Tag der Berlin-Marathon stattfand.

Doch die Runde durch den Tiergarten blieb auch nach Gründung der Volkslaufserie SALAH-Cup das Laufevent des Jahres, bald erreichte der Wettbewerb wieder 1000 Aktive und mehr. Lokale Prominenz ließ sich gern an der Uelzener Straße blicken – vom Rote-Rosen-Darsteller bis zum Landtagsabgeordneten wollten alle vor möglichst vielen Augen ihre Fitness unter Beweis stellen. 2014 nutzten Aktivisten der Umweltinitiative „Robin Wood“ den Lauf als Bühne, um gegen den Hauptsponsor E.ON und dessen Atomkraft-Kurs zu demonstrieren.

Es wurde zunehmend schwerer, ein solches Großereignis zu stemmen. Die Volkslauf-Abteilung löste sich auf, nachdem Nicht-Vereinsmitglieder auf Geheiß des Gesamtvorstands nicht mehr willkommen waren. Viele Helfer verabschiedeten sich daraufhin für immer. „Ich krieg das personell gerade so hin“, sagte Stumpenhausen im Vorjahr. Da hatte er schlicht und einfach keine Leute mehr, die Nachmeldungen am Wettkampftag annehmen konnten, was die Teilnehmerzahl weiter drückte.

50. Lauf wäre nur mit jüngeren Helfern möglich

Einmal wollten er und seine Mitstreiter den Lauf noch ausrichten. Corona kam dazwischen. Da der Stadtlauf „Run for Help“ ebenfalls wegen der Pandemie abgesagt wurde, sieht es ganz mau aus um die Zukunft des Laufsports in Lüneburg. Steigen Volksläufe demnächst nur noch in Dörfern wie Westergellersen oder Thomasburg?

Noch gibt es eine kleine Hoffnung, nachdem Vereinsarchivarin Ingrid Horn auf ein weiteres Jubiläum hingewiesen hat. Seit 1921 treibt der MTV auf dem Platz an der Uelzener Straße Sport – da wäre 2021 ein 50. und letzter Tiergartenlauf an dieser historischen Stätte doch ein besonderer Beitrag zum Fest. Werner verrät: „Das wäre aber nur möglich, wenn wir auch die jüngeren Leichtathleten als Helfer gewinnen könnten.“ Vielleicht ist doch noch nicht alles vorbei.

(Beitragsbild: Archiv/LZ, Start der Frauen 1977)

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