4. Oktober 2024

Nur das Gänseliesel schwitzt nicht

Menno, wann geht das hier denn endlich los? Beziehungsweise: Wann darf ich endlich loslaufen? Ich befinde mich zwar zum x-ten Mal in meiner alten Heimat Göttingen, aber zum ersten Mal in Laufklamotten. Um 20.20 Uhr soll beim Altstadtlauf die Langstrecke – als lang gelten hier 10,45 Kilometerchen – gestartet werden. Mittlerweile ist es schon halb neun. Viele Läufer des Fünfers drehen noch ihre Runden und scheinen es nicht sonderlich eilig zu haben. Klar, wir können uns ja erst aufstellen, wenn auch die letzte Rennschnecke im Häuschen ist. Es wird immer dunkler am Himmel und schwüler. Meine Güte, das kann ja heiter werden.

 

Lange Schlange bei der Anmeldung - schon nachmittags sind alle Startnummern weg.
Lange Schlange bei der Anmeldung – schon nachmittags sind alle Startnummern weg.

Wird es letztlich auch. Aber ganz anders als erwartet. Vor allem viel schöner als erwartet. Aber erst einmal ein paar Infos zum Lauf, der grundsätzlich am letzten Schultag vor den Sommerferien stattfindet. Schnupperlauf, Schulcup, Firmencup, Mittelstrecke, Langstrecke – insgesamt sind 4450 Aktive auf den Beinen. Und dazu noch unzählige Freunde, Verwandte, Familienmitglieder usw., die zum Anfeuern verdammt worden sind oder dies sogar freiwillig tun. Die Stimmung ist nicht nur gut, sie ist fantastisch. Der 1730 Meter lange Kurs führt, wie man auch auf diesem Streckenplan erkennen kann, mitten durch die Innenstadt.

An dieser Stelle muss ich einfach jammern: Warum nur kann eine Veranstaltung dieser Art nicht in Lüneburg steigen? Weil zwei Busse umgeleitet werden oder weil drei potenzielle Kunden ihr Auto zehn Meter weiter außerhalb abstellen müssten? Ich kann es nicht verstehen. Kneipen und Cafés am Rand der Strecke sind überfüllt, die unvermeidlich im Startraum aufgestellten Bratwurstbuden dicht belagert. Und ich nehme es vorweg: Vor der alten Aula am Wilhelmsplatz werden sich später Läufer, Studierende, Eingeborene und Flaneure aller Art zu einer wunderbaren Apres-Lauf-Fete treffen.

 

Die Ruhe vor dem Sturm - Start und Ziel vor dem Rathaus.
Die Ruhe vor dem Sturm – Start und Ziel vor dem Rathaus.

Bevor ich dort im Gras sitze und glücklich eine Pizza aus dem Pappkarton mümmle, muss ich ja noch sechs Runden schaffen. Mein Shirt ist schon vorm ersten gelaufenen Meter durchgeschwitzt, zumal an der Startlinie vis-à-vis dem Gänseliesel Körperkontakt garantiert ist. Meine Form hat ihren Namen eigentlich nicht verdient. Wann bin ich das letzte Mal richtig schnell gelaufen? Also für meine Verhältnisse schnell? Muss irgendwann Anfang Juni gewesen sein.

Das ganze Gedrängel löst sich aber noch vor der ersten Kurve in Gefälligkeit auf. Am Ende der Roten Straße, das bestimmt 80 Zentimeter höher über Normal-Null liegt als der Anfang, merke ich schon: Das Ding hier muss ich mir heute sehr gut einteilen, damit ich nicht irgendwann aus den Latschen kippe. Leider geht’s dann nach rechts in die Kurze-Geismar-Straße und nicht links in die Jüdenstraße, in der knapp zwei Jahre mein L(i)ebensmittelpunkt lag, aber die Leutchen an der Strecke machen überall einen Höllenlärm und geben ebenso alles wie die Läufer.

Ein Weilchen laufe ich zusammen mit einer flinken Lehrerin, die an mehreren Ecken besonders leidenschaftlich angefeuert wird, als wenn das noch irgendeine Schulnote beeinflussen könnte. Irgendwann höre ich hinter mir ein aufgeregtes Klingeln. Das Führungsfahrrad bahnt sich und vor allem den allerschnellsten Läufern einen Weg durch die Masse. Fast gleichzeitig überhole ich aber das Rad, das hinter den Letzten herzuckelt. Ach, ich bin mal wieder der durchschnittlichste Durchschnitt, den man sich nur denken kann.

Irgendwann überrunde ich eine Frau, die den Schriftzug „Jesus runs“ auf ihrem Rücken stehen hat, und verkneife mir knapp einen gotteslästerlichen Kommentar. Ich allerdings muss mir auch allmählich Mühe geben, nicht über meine Zunge zu stolpern – im Rachenraum macht sich ein Sahara-Gefühl breit. Schön dass es auf den 1730 Metern zwei Getränkestellen gibt. Die erste ist ausgerechnet jetzt aber so dicht belagert, dass ich die paar hundert Meter zur zweiten durchlaufe. Dort aber ist alles gerade wegen eines Krankenwagens mit Blaulicht in heller Aufruhr, niemand streckt mir armen Tropf einen Becher entgegen. Und dann muss ich wieder tapfer die Weender Straße entlangtoben. Hunderte von Zuschauern sitzen dort beim Bier oder bei der Cola, während ich komplett dehydriere…

Einige Hindernisse hatte ich bis zum Zieleinlauf zu überwinden ;-)
Einige Hindernisse hatte ich bis zum Zieleinlauf zu überwinden 😉

Nun, eingangs der letzten Runde weicht mein Selbstmitleid der Freude auf die Strecke. Ich klatsche Kinder ab, winke ein bisschen in der Gegend herum. Eine Zuschauerin verpasst mir einen vollen Strahl aus der Wasserpistole. Ach, ihr Göttinger, da fließt zwar nicht südländisches, aber doch immerhin südniedersächsisches Blut durch eure Adern. Im Alltag wisst ihr schon, eure Emotionen zu zügeln, aber wenn mal 4450 mehr oder weniger knapp bekleidete Gestalten an einem lauen Sommerabend schwitzen und stöhnen, dann seid auch ihr nicht mehr zu halten.

Und plötzlich befinde ich mich im Ziel. In einer zwar nicht grandiosen, aber doch akzeptablen Zeit. Und außerdem mit zwei Gedanken: 1. Schade, dass es schon vorbei ist. 2. Nächstes Jahr will ich unbedingt wieder mitlaufen. Darf dann gern auch ein paar Grad kühler sein.

PS: Auf der Seite der LG Göttingen finden sich Berichte, Ergebnisse und viele hübsche Fotos.

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