3. Dezember 2024

Es geht um 900 Millionen

900 Millionen Euro. So viel Geld haben die Deutschen laut Öko-Test 2011 für Vitamine, Mineralstoffe und Nahrungsergänzungsmittel ausgegeben. „Schützt und stärkt Muskeln dauerhaft“ – „beschleunigt die Heilung entzündlicher Verletzungen“ – „steigert Wohlbefinden und Vitalität“ – gerade wir Läufer scheinen für diese Sprüche besonders empfänglich zu sein. Wir werden aber auch extrem stark umworben…

Zur Einstimmung ein Film aus der ARD-Mediathek zum Thema Nahrungsergänzung:
nahrungOb NDR oder SWR, Focus oder Süddeutsche – wer über Vitaminpräparate, Mineralstoffe und Nahrungsergänzungsmittel berichtet, der kommt regelmäßig zum gleichen Schluss: Das Zeugs bringt nichts, ist unter gewissen Umständen sogar schädlich. „Wer sollte Nahrungsergänzungsmittel einnehmen?“, fragt man sich zum Beispiel bei Ökotest. Die Antwort besteht aus einem Wort: „Niemand“. Wer sich auch nur halbwegs vernünftig ernäht, ist zur Genüge versorgt. Unter Vitaminmangel könnten allenfalls Kettenraucher mit ausgeprägtem Hang zum Junk Food leiden – nicht unbedingt repräsentativ für die Läuferschar.

Aber es geht um einen 900-Millionen-Euro-Markt. In jedem Laufladen, in jedem Webshop für Läufer findet sich irgendwo mehr oder weniger prominent platziert eine Ecke mit den Wundermitteln. Da verlost zum Beispiel der allseits bekannte Achim Achilles alias Hajo Schumacher neuerdings „Produkte des Monats“. Von sechs Gewinnen im März fallen drei unter die Kategorie Nahrungsergänzungsmittel. „Natürliche Heilungsbeschleuniger“ – „keine Krämpfe, schnellere Erholung, mehr Belastbarkeit“ – „Anwender berichten, dass sie mehr Energie verspüren, höhere Leistungsreserven abrufen können und trotz erhöhter Belastung gesund bleiben“ – das sind genau die Floskeln, auf die wir hereinfallen sollen und auf die genügend von uns schon hereingefallen sind. Ja, auch ich habe vor meinem ersten Marathon sündhaft teures Ackerschachtelhalm-Konzentrat zu mir genommen, weil ich Angst vor einer Überlastung meiner Knochen hatte.

Bewegen ohne Schnickschnack

Achim Achilles hat sich auf Facebook übrigens einige Kritik für diese Preise geerntet. Eine Antwort blieb von diesem ansonsten so schlagfertigen Journalisten aus. In seinen durchaus lesenswerten Buch Bewegt Euch! schreibt er: “Gutes Bewegen kommt ohne Schnickschnack zurecht.“ Nun macht er Reklame für den wohl überflüssigsten Schnickschnack, für den ein Läufer Geld verplempern kann. Eine „Gefällt mir“-Angabe hat er jedenfalls mit dieser Aktion verloren.

Ich will gar nicht über eine Sportlerin wie Evi Sachenbacher-Stehle philosophieren, die (ganz bestimmt nicht als einzige Olympionikin) Nahrungsergänzungsmittel futterte. Verständnis habe ich für diesen Betrug ganz bestimmt nicht, aber ich kann zumindest nachvollziehen, dass ein Profi versucht, seine Siegchancen zu steigern, koste, was es wolle, und sei es seine Gesundheit. Aber was reitet uns Amateure dazu, unverschämt viel Geld für diese kleinen Möchtegern-Schnellermacher auszugeben? Mir fallen gleich ein paar Leute ein, die sich vor ihrem ersten Marathon vor allem Gedanken um Power-Gels und Eiweiß-Drinks machten und weniger um ihr Training an sich. Ich habe sie alle nur für kurze Zeit auf den Laufstrecken dieser Welt gesehen.

Ein artverwandtes Thema: Functional Food, Lebensmittel mit zusätzlichen Inhaltsstoffen wie Vitamine oder Mineralstoffe, aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sinnlos bis gefährlich, aber ein Milliardenmarkt. Ich empfehle wärmstens die Materialsammlung des Bundesinstituts für Risikobewertung.

Beitragsfoto: I-vista/pixelio.de

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