3. Dezember 2024

Genießen, verdammt noch mal!

99 Läufe gegen die Uhr habe ich hinter mich gebracht. Manche waren ein Genuss, manche bescherten nur Verdruss – die meisten lagen irgendwo dazwischen. Aber meinen 100. will ich selbstredend vom ersten bis zum 26500. Meter genießen, aber hallo! Der Ratzeburger Adventslauf soll den Rahmen meines Jubiläumslaufs hergeben, die lange Runde um den Ratzeburger See, die „total schön“ ist (1. Laufkollege), „total anstregend“ ist (2, Kollege) und „eigentlich immer bei total schlechtem Wetter“ stattfindet (3. Kollege). Nur Kollege 3 liegt in diesem Jahr total falsch.

Ich lahme Ente wusste doch schon vorm Lauf, dass dieses Motiv wunderbar zu meinem Laufbericht passen wird.
Ich lahme Ente wusste doch schon vorm Lauf, dass dieses Motiv wunderbar zu meinem Laufbericht passen wird.

Es ist eine Schande, dass ich in meiner gut zehnjährigen Lauf-Laufbahn noch nie Ratzeburg angesteuert habe. Um so schöner ist es, dort den 100. Wettkampf zu erleben. Sonne satt, schwacher Wind, halbwegs angenehme Temperaturen, gut gelaunte Menschen überall – was soll da schon schief gehen? Nun ja, in den vergangenen drei Wochen habe ich mich mehr mit der Bekämpfung diverser Viren als mit Laufen beschäftigt. Aber Training wird eh überschätzt. Und am Donnerstag bin ich ohne Kollaps immerhin gut fünf Kilometer mit den Gästen meiner Lesung in Bad Bevensen gelaufen. Was bin ich für ein Tier.

Am meisten genossen habe ich bisher längere Läufe, bei denen ich ein moderates Tempo angeschlagen und im Idealfall auch durchgehalten habe. Ich lass‘ mich ein paar Kilometer treiben. Immerhin rennen mehr als 1000 Frauen und Männer um den großen See – und das zunächst auf relativ schmalen Wegen. Es geht lustig hoch und runter, dann durch ein bisschen Wald und viel Feldmark. Wo ist denn der See, um den wir angeblich laufen? Auflösung: Wegen einer Baustelle müssen wir eine Umleitung nehmen, durch die der Lauf auch 26,5 und nicht 26,0 Kilometer lang ist. Außerdem offenbar um einiges hügeliger, aber das erzählt einem vorher natürlich niemand.

Unbemerkt (jedenfalls von mir) haben wir eine Landesgrenze überschritten und passieren nicht Utrecht, aber immerhin Utecht. Landkreis Nordwestmecklenburg, also ehemalige Zone, wie ich Besserwessi gleich messerscharf erkenne. Begrüßt werden wir von einer Sambaband und der halben Einwohnerschaft. Hach, Laufen ist doch herrlich. Manchmal jedenfalls.

Stammleserinnen und Stammlesern ist aber bekannt, dass viele meiner Berichte in den vergangenen Monaten auf eine einfache Formel hinausliefen: „Bis Kilometer xx lief es noch wunderbar, aber dann…“ Bis Kilometer 14 läuft es diesmal wunderbar, aber dann merke ich von einer Sekunde auf die andere, dass für mehr meine, hüstel, Fitness heute definitiv nicht reicht. Schnell ein Meeting. Ich rufe Ehrgeiz, Faulheit, Verstand, Gefühl und Kreislauf zu einer Krisensitzung zusammen.

Kreislauf verbreitet Panik: „Ich fühl‘ mich praktisch nicht mehr. Bald laufen wir alle Schlangenlinien.“ Faulheit: „Lass uns doch mal ein paar Meter gehen. Nur ein paar…“ Ehrgeiz: „Du spinnst wohl. Wer einmal geht, der fängt das Laufen nicht mehr richtig an.“ Gefühl: „Ich kotz‘ gleich.“ Verstand: „Gehen ist doof, okay, es sind noch zwölf Kilometer, das dauert ja ewig. Faulheit: „Wir können auch an der nächsten Verpflegungsstelle aussteigen und fühlen uns wunderbar.“ Verstand: „Mein Vorschlag – wir gehen nicht, aber drosseln unser Lauftempo deutlich. Wir wollen ja den Lauf genießen, verdammt noch mal!“ Ehrgeiz und Kreislauf enthalten sich, Faulheit stimmt dagegen, doch Verstand und Gefühl setzen sich durch.

Also trete ich auf die Bremse und werde allmählich durchgereicht. Will ja heute alles, nur nicht mich quälen. Bei Kilometer 15 werfe ich ein Gel ein, gehe ein paar Schritte und atme einmal tief durch. Wunderhübsch ist die Strecke ja. Über Waldwege, die ich allerdings nicht im morastigen Zustand erleben will, direkt neben dem See, in dem sich die Sonne spiegelt. Die Strecke ist jetzt flach wie Witze von Mario Barth. Aber ich weiß ja, da kommt noch eine ordentliche Erhebung.

Gel, Tempodrosselung und der gute Zuspruch von manchem Leidensgenossen haben mich wieder in die Verfassung gebracht, den letzten Berg auch ohne Sauerstoffmaske zu besteigen. Sooo schlimm war er zum Beispiel im Vergleich zur Todesmoräne von Schwerin auch nicht. Und nie war Anfeuerung von Zuschauern so wertvoll wie an diesem letzten Anstieg. Auf den letzten drei Kilometern nehme ich richtig Fahrt auf, jedenfalls gemessen an meiner Kriecherei zuvor.

Die letzten Meter – links und rechts mit Publikum, das auch mich aus unerfindlichen Gründen feiert wie einen Etappensieger bei der Tour de France nach einer vierstündigen Solofahrt durch die Alpen – sind, ich wage es kaum zu schreiben: ein Genuss. Ehrgeiz und Faulheit schmollen, Kreislauf und Verstand haben auch gerade Sprechpause. Aber das Gefühl!

Dafür laufe ich so gerne Wettkämpfe, auch wenn es für mich nie den einen Lauf geben wird, bei dem vom ersten bis zum letzten Meter alles stimmt. Ich werde es sicher bald auch ein 101. Mal versuchen.

100 Läufe in Zahlen…

0x bin ich Erster geworden, nicht mal in meiner Altersklasse reicht’s. Aber irgendwann 😉

5 Staaten habe ich bisher unsicher gemacht: 93x Deutschland, 5x Niederlande, 1x Spanien, 1x Belgien, 1x Italien (na, warum ergibt das wohl 101?)

8,8 km: mein kürzester Lauf (2x Dahlenburger Moorlauf).

9x habe ich den Tiergartenlauf mitgemacht. Platz zwei teilen sich der Deichlauf Hohnstorf und der Schiffshebewerklauf Scharnebeck.

22x war ich auf amtlich ausgemessenen Strecken unterwegs. 2x 10 km, 8x Halbmarathon, 2x 25 km, 10x Marathon.

42,195 km: mein längster Lauf (10x Marathon).

48 unterschiedliche Wettkämpfe habe ich jetzt mitgemacht. In diesem Jahr kamen immerhin 7 neue Läufe dazu.

100 Prozent aller meiner Läufe habe ich tatsächlich gefinisht. Auch wenn es manchmal schwer fiel…

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