3. Dezember 2024

Allein mit dem drögen Hasen

Etwas Grundsätzliches vorweg: Es ist eine Schande, dass ich es fast fünf Jahrzehnte lang nicht ein einziges Mal geschafft habe, Oldenburger Boden zu betreten. Dabei ist die Stadt nicht nur schnuckelig anzusehen, sondern durchaus auch unterhaltsam. Und erst der Oldenburg-Marathon! Knapp 4000 Leutchen haben vom Kinderlauf bis zur 42,195-km-Distanz Oldenburg für einen Tag erobert – ich mittendrin. Und es gefiel mir ausnehmend gut.

Auf meinen Halbmarathon habe ich mich wieder einmal extrem snobistisch vorbereitet. Ein Besuch im Horst-Janssen-Museum mit einer Chagall-Sonderausstellung reicht mir nicht (ehrlich gesagt: weder Janssen noch Chagall sind wirklich meine Favoriten). Nein, ich entdecke zudem das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst mit zwei wirklich wilden Projekten. Ich bin vor allem fasziniert von den Ameisen. Irgendwann kommt ein junger Mann hinzu, postiert die Kameras neu, beantwortet mir sehr detalliert Fragen zum Ameisenleben – bald kapiere selbst ich, dass ich da den Künstler höchtselbst getroffen habe. Hier ein hübsches Video:

Okay, ich schlendere natürlich auch ein bisschen durch die City, in der sich nicht nur viele Niederländer deutlich hörbar herumtreiben, sondern die durchaus auch ein bisschen holländisch wirkt. Ein bisschen wie Apeldoorn, wo ich im Februar gelaufen bin. Ähnlich groß und trotzdem gemütlich, wobei Oldenburg sein Schloss im Zentrum hat und Apeldoorn Het Loo am Stadtrand.

Dazu ist der Oldenburger Marathon ähnlich organisiert wie der Midwinter-Marathon in Apeldoorn. Den ganzen Tag über finden Läufe für Anfänger und Cracks, für die Kleinen und für die Großen statt, ohne eingekaufte Stars, dafür aber mit viel Herz organisiert. Okay, Oldenburg ist im Gegensatz zu Apeldoorn flach wie ein pannenkoeken. Und daher hoffentlich auch bestzeitengeeignet?

Das sortiert sich schon

Kurz vorm Start wird mir allerdings angst und bange. Marathon mit Staffel, Halbmarathon und 10-km-Lauf sollen gemeinsam beginnen. Von Startblocks keine Spur; allein ein paar kleine Schildchen sollen für eine gewisse Sortierung sorgen. Ich stelle mich kurz hinter das Schild „1:30 Halbmarathon, 3:15 Marathon“ auf und sehe direkt vor mir ein paar fidele Holländer fortgeschrittenen Alters, denen ich kaum eine 3:15 über 10 Kilometer zutrauen würde. Neben ihnen steht eine Frau, die ihrem Begleiter zuflüstert: „Ich glaube, ich steh‘ viel zu weit vorn.“ Der kontert: „Ach, das sortiert sich schon.“

Ich befürchte das große Chaos, Tritte in die Wade, Sturzorgien. Es passiert: nichts. Das muss wohl an der zurückhaltenen Natur der Leute hier liegen. Nach wenigen hundert Metern und ein, zwei Schlenkern habe ich schon freie Fahrt. Bald fängt es an zu nieseln. Es wird windiger. Doch ich finde meinen Weg in eine kompakte Gruppe mit einer wirklich sehr kleinen, sehr zierlichen Frau, der zugerufen wird, dass sie die Fünftschnellste im Feld ist, sowie vier Männern, die im Gegensatz zur Frau Windschatten spenden können.

Die fünftschnellste Frau und meine vier anderen Begleiter - leider sind sie mir alle später entwischt. Foto: augenschmaus photographie
Die fünftschnellste Frau und meine vier anderen Begleiter (sowie ein Marathoni) – leider sind sie mir alle später entwischt. Foto: augenschmaus photographie

Zwei aus Cloppenburg-Emstekerfeld reden noch lustig, tauschen mit mir Zielzeiten aus. Die beiden anderen und die Frau reißen still ihre Kilometer herunter. Die sind schnell, fast ein bisschen zu schnell für mich. Die ersten zehn Kilometer wollte ich in 45:00 angehen, ich liege aber bei 44:35. Vor Schreck lasse ich sofort ein wenig nach. Einige Schritte nur, und die anderen fünf sind mir enthuscht. Die kriege ich doch noch wieder? Von wegen…

Mittlerweile bin ich im wilden Westen von Oldenburg angekommen. Es regnet kräftiger. Der Wind wird böiger. Keine gute Phase, allein zu sein. Relativ wenige Anwohner stehen auf den Bürgersteigen, geben dafür aber alles. Einige fragen sich bestimmt, wie man sich bei diesem Wetter so einen Lauf freiwillig antun kann. Gut, ich frage mich, wie man sich bei diesem Wetter das Zuschauen antun kann. Besonders viel Laub liegt auf den Straßen. Da fällt mir doch etwas ein…

http://www.youtube.com/watch?v=QaHR77OotzA

Ja, diese Oldenburger Laubkorb-Verordnung gibt es tatsächlich immer noch. Und meine Einsamkeit erreicht im Drögen-Hasen-Weg ihren Höhepunkt. Andere Läufer sehe ich nur in unerreichbarer Ferne, Zuschauer gar nicht mehr. Dieser Weg endet am Ausflugslokal Zum Drögen Hasen, in das ich nun liebend gern einkehren würde. Allerdings habe ich erstens kein Geld bei mir, zweitens sind meine Klamotten mittlerweile vom Regen und vom Schweiß so nass, dass ich doch lieber links abbiege.

Bald habe ich mich an zwei andere Männer herangearbeitet. Der eine bleibt prompt mit einem Krampf stehen, der andere forciert wieder das Tempo. Nee, das Spiel mache ich jetzt nicht mehr mit. Mittlerweile liegt meine Pace je nach Wind und Laune nicht mehr bei den gewünschten 4:30, sondern nur noch bei 4:35 bis 4:40; ich finde das aber ganz ordentlich. Ich passiere erst die Tirpitzstraße, dann die Hindenburgstraße. Gestern erst hatte ich gelesen, dass die Uni Oldenburg gerade alle Straßennamen der Stadt auf ihre politische Korrektheit überprüft, und denke mir jetzt meinen Teil.

Herr Schafft aus der Heide

Ich biege ab zum Schlossplatz, profitiere wenigstens auf den letzten 200 Metern vom Bahntraining und ziehe noch einmal, hüstel, unwiderstehlich an. Der Sprecher begrüßt „Andreas Schafft, äh nein, Safft aus der schönen Lüneburger Heide“ und wird deshalb gnadenlos von mir abgeklatscht. Ziel! Was hatte ich vorher gedacht? 1:36 ist mein Ziel, 1:35 wäre ein Traum – ich lande fast exakt dazwischen, bei 1:35:31. Man muss ja weiter Träume haben.

Vorerst träume ich nur von einem alkoholfreien Weizen und leckerem Kuchen. Beide gibt es nur ein paar Schritte neben dem Ziel vor und im Zelt. Die freundlichen Frauen (für solche Jobs finden sich offenbar immer nur Frauen) geben mir gern auch einen Nachschlag mit. Beim dritten Mandelkuchenstück denke ich: Oldenburg, mjam, ist prima. Und sogar die Duschen sind heiß. Läufer, was willst du mehr?

3 Gedanken zu “Allein mit dem drögen Hasen

  1. Bin vor drei Wochen meinen ersten Halbmarathon in Bremen gelaufen und habe daher auf den Oldenburger verzichtet, beim Lesen des Textes habe ich so richtig Lust auf den Nächsten bekommen. Danke – schön zu lesen.

  2. Du weißt schon wer ich bin, der aus dem Jogmap Blog zum Thema Oldenburg Marathon. Jetzt habe ich mir den drögen Hasen angeschaut. Im Web steht …. alles andere als trocken. Wie wahr …. 🙂

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