4 3 2 1 heißt der Klotz von einem Roman aus der Feder von Paul Auster, durch den ich mir zurzeit mit dem größten Vergnügen durcharbeite. Erzählt werden vier Versionen des Lebens von Archie Ferguson, das durch bisweilen banale Zufälle plötzlich einen ganz anderen Verlauf bekommt. Weil der Mensch aber nicht immer nur lesen kann, sondern auch mal laufen sollte, habe ich mich wieder in den wilden Hamburger Süden begeben. Inselparklauf in Wilhelmsburg – ein schönes, entspanntes Event, das Paul Auster sicher sehr gefallen würde. Denn man kann noch während des Rennes entscheiden, ob man denn nun 1, 2, 3 oder 4 Runden läuft. Wie schnell kann sich da ein Leben plötzlich ganz anders entwickeln! Ein literarisches Experiment:
1
Nach einer Runde bin ich fix und fertig und steige aus. Nein, ich will nie wieder laufen! Voller Selbsthass quetsche ich noch vor Ort zehn Krakauer und unzählige Bier in mich hinein. Filmriss. Am nächsten Morgen wache ich auf dem S-Bahnhof Wilhelmsburg auf. Ausgeplündert, ohne Papiere, ohne Erinnerung. Wer bin ich? Mein Fall geht durch die Medien: „Der Läufer ohne Gedächtnis.“ Nach vierzehn Tagen meldet sich endlich Ursula Schulze aus Holzminden, die mich als ihren Göttergatten Horst-Uwe identifiziert. Finanzbeamter, Schützenkönig von 2002 und 2015, leidenschaftlicher Andrea-Berg-Fan. Sie holt mich mit unserem Opel Vectra ab. Ich werde nie wieder auch nur einen Meter laufen.
2
Nach zwei Runden biegt die faszinierende Dame mit dem interessanten Tattoo auf der Wade ab Richtung Ziel. Ich kann nicht anders, als ihr zu folgen. Sie nimmt mich mit in ihr Studio. Ich will mir erst meinen Kater Fredi auf die linke Wade stechen lassen, Zorro rechts. „Du bist doch ein Kerl und keine Muschi“, faucht mich die Dame an. Ich entscheide mich also für etwas Männliches, für Fußball. Links lasse ich mir das Wappen von Mainz 05 stechen, rechts das von Darmstadt 98. Zu spät geht mir auf, dass die Clubs in inniger Feindschaft miteinander verbunden sind. Ich kann mich einfach nicht entscheiden, welches Tattoo ich wieder entfernen lassen will, und laufe nie wieder auch nur einen Meter in kurzen Hosen.
3
Eigentlich will ich ja vier Runden laufen, aber der Schweinehund schlägt nach der dritten zu. Mir ist ein bisschen zu warm, im Oberschenkel zwickt’s, in der Wade zwackt’s – was soll’s? Ich höre also auf. Sehr zum Verdruss des vor Ort weilenden Profizockers X., der, ohne dass ich das auch nur ahnen kann, mit seinem Cousin Y. um 10.000 Euro wettete, dass der komische Typ mit der 404 auf der Wampe vier Runden durchhält, auch wenn der nicht so aussieht. X. ist außer sich, drängelt sich zu mir durch, fragt mich: „Bruder, warum hörst du schon auf?“ Ich zucke nur die Schultern und meine pampig, dass davon doch keine Welt zusammenbricht und was ihn das überhaupt interessiert. Zwei Tage später wird meine Leiche im Überseehafen bei Veddel geborgen. Ich werde nie wieder einen Meter laufen.
4
Ich habe doch die ganze Distanz geschafft, entspannt und ohne größere Probleme und sogar gut 30 Sekunden schneller als im vergangenen Jahr und bin darüber einfach glücklich. Wie diese Version weitergeht, kann ich aber erst nach den kommenden Wettkämpfen erzählen 😉