Fünf Tage bin ich bei bestem Wetter in einer Stadt mit 630.000 Einwohnern unterwegs. Und sehe keinen einzigen Läufer. Ist man in dieser Stadt so unsportlich? Schwitzt man lieber in Fitnessstudios? Oder ist diese Stadt einfach nicht geeignet für eine ruhige Runde? Die Stadt heißt Breslau, in Polen besser bekannt als Wrocław. Und einmal will ich’s doch mal ausprobieren.
Es gibt so viele böse Vorurteile über Polen. Ein paar stimmen sogar. Sie fahren wirklich äußerst gern Auto. Und äußerst schnell. Tempo 40 ist zum Beispiel auf der Kazimierza Pułaskiego nahe unserer Haustür angesagt. Unter 70 bis 80 donnert da absolut niemand entlang, solange der Verkehr nicht mal wieder vollkommen steht. Die Ampelschaltungen sind grundsätzlich nicht fußgängerfreundlich, doch die ewig langen Rotphasen sollte man peinlichst genau beachten. Um irgendeine Ecke kommt immer noch ein Auto, Bus oder Lastwagen geknallt.
Mich trennt nur diese Kazimierza Pułaskiego vom Zentrum, doch in der Altstadt lauern weitere Gefahren in Form von Straßen und Gassen, in denen das Leben tobt. Der kleine Grüngürtel würde sich allenfalls für einen Kinderlauf anbieten – ein paar hundert Meter mit mehreren Ampeln und einer Baustelle, kein Vergleich mit Krakaus herrlichem planty. Also versuche ich es an der Oder.
Erst einmal überwinde ich die Most Grunwaldski, nähere mich der Galeria Grunwaldzki, Knotenpunkt für Studenten wie fürs konsumsüchtiges Volk. Alle wundern sich bestimmt gemeinsam über den Verrückten aus Holandia (ich trage mal wieder mein Shirt vom Amsterdam-Marathon), der sich todesverachtend irgendwie durchschlägt und Richtung Dominsel abbiegt. Diese ist der einzige Ort in Breslau, an dem eine nennenswerte Zahl von Touristen unterwegs ist. Und Nonnen. Und Schulklassen. Und heute sogar ein Filmteam. Bloß weg hier. Ist ja fast so schlimm wie in Lüneburg, wenn die Heide blüht oder der unselige Weihnachtsmarkt eröffnet ist.
Nicht der ideale Gondelnachbar
Am Südufer der Oder geht es ein bisschen besser voran. Doch erst jenseits der Most Grunwaldski schaffe ich mal mehr als nur ein Dutzend Schritte am Stück ohne Hindernisse. Auf der Na Grobli, einer verschlafenen Nebenstraße, entdecke ich plötzlich mitten im Flachland eine Seilbahnstation. Hier kürzen Studenten ihren Weg zur Uni über die Oder ab. Und hier könnte doch auch ein Läufer… Nee, nach ein paar absolvierten Kilometern bin ich sicher nicht mehr der ideale Gondelnachbar für empfindliche Nasen,
Bald aber führt eine Fußgängerbrücke rüber auf die Nordseite zum Zoo. Hat man nahe der Altstadt oft genug Angst, dass einem die Fassade des nächstbesten Hauses auf den Kopf fallen könnte, wohnt hier offenbar das Geld. Der nächste Kilometer wirkt wie aus Hamburg-Blankenese importiert. Doch da muss ich schon wieder die Most Grunwaldski überqueren – bald bin ich wieder mitten im Verkehrschaos und kurz darauf am Ziel.
Gesehen habe ich übrigens wieder keinen anderen Läufer. Die, so erfahre ich später, drehen lieber außerhalb der Stadt ihre Runden in Wäldern oder Parks. Ich ahne, warum.
Update: Es gibt doch einige aktive Läuferinnen und Läufer in Breslau; sogar zwei Walkerinnen habe ich gesehen. Ich hätte nur einmal beim Zoo weiter stadtauswärts laufen müssen. Dort gibt’s wunderschöne Waldwege entlang der Oder und sogar das oben gezeigte Hinweisschild auf eine 5940 Meter lange Loipe „zwischen den Brücken“ – sogar an Kilometerschilder entlang der Strecke ist gedacht. Ich allerdings bin dort nur gemütlich entlanggeradelt. Nächstes Mal, vielleicht…