Was für eine Freude und was für Schmerzen! Was für eine Euphorie und was für eine Müdigkeit! Der Roparun 2018 – eine Waschmaschine für die Emotionen mit Schleudergang. 100.000 Zeilen könnte ich jetzt über die Staffel von Hamburg nach Rotterdam schreiben und würde doch wieder irgendwas vergessen. Und außerdem: Was beim Roparun passiert ist, das bleibt auch beim Roparun.
„Ich mach‘ drei Tage das, was ich am liebsten mag – laufen“, sagt der weise Christian. Er würde wahrscheinlich auch die ganzen 560 Kilometer allein hinbekommen, aber zwischendurch wird auch mal geschlafen (sehr kurz), gegessen (sehr durcheinander), geradelt (je nach Laune und Zustand der Beine) und im Bus gesessen (viel zu lange). Acht Leute teilen sich die Strecke. Vier wechseln sich zirka 70 bis 100 Kilometer lang alle zwei Kilometer ab, während die anderen vier (im Idealfall) ruhen und schlafen, dann wird gewechselt. Ohne Radler, Busfahrer und unser fantastisches Catering-Team wären wir natürlich kaum bis Buxtehude gekommen. Ein bisschen anstrengend ist es aber auch so.
Aber die gut 300 niederländischen und zwei deutschen Teams machen das alles nicht nur aus Jux und Dollerei oder aus Abenteuerlust. Durch Startgelder, Spenden und eine Lotterie kommen mehr als fünf Millionen Euro für unheilbar an Krebs erkrankte Menschen zusammen – so hat sich das Hospiz St. Marianus in Bardowick einen rollstuhlgeeigneten Bus anschaffen können. Es ist immer wieder Ansporn genug, wenn sich immer wieder niederländische Zuschauer und Läufer bei uns für unseren Einsatz bedanken. Ein herzliches Völkchen.
Wenn man ein verlängertes Wochenende lang praktisch permanent zusammenhockt, dann muss die Chemie auch gnadenlos stimmen. Wir bildeten zu acht eine Schicht. Tina, Oli, Christian und Dirk kannte ich aus dem Vorjahr schon zur Genüge. Nachdem ich schon im Vorfeld mit meinem sofortigen Ausstieg gedroht hatte, falls wieder einmal 48 Stunden lang gefühlige Jammerbarden wie Ed Sheeran, Max Giesinger und Schlimmeres zu hören sind, haben wir uns insgesamt doch bestens verstanden. Und die drei Neuen, Nicole, Nina und Julian – echte Granaten.
Nicole, die selbsternannte Gurke, die von uns auch mal versehentlich vergessen wurde oder doppelt so lange laufen musste wie vereinbart, haut einfach gar nichts um. Sie läuft nicht nur, sie tanzt sich durch die Tage. Nina, eigentlich als Berichterstatterin für DKMSlife an Bord, verschmilzt innerhalb weniger Stunden mit dem restlichen Team, unterhält uns mit ihren Videoschnipseln, läuft und radelt auch mal oder legt sich todesverachtend auf Landstraßen, um unsere Wechsel aus der Froschperspektive zu filmen. Und Julian, der Kaffee-Experte, hat seine einzige und größte Krise, als er die Plörre im Hostel in Rotterdam probiert. Ansonsten hat wohl kein anderer der gut 6000 Teilnehmer so oft innerhalb so kurzer Zeit gesagt, wie geil er den Roparun findet.
Im Gegensatz zu 2017 laufe ich (wie auch Tina, Oli, Christian und Dirk) erstmals im Team A, das in Hamburg startet. Wir bekommen also die Hälfte der Strecke mit, die wir im Vorjahr nicht gesehen haben. Nun gut, zwischen Hamburg und Bremen sind die Wiesen auch nicht deutlich interessanter als die zwischen Bremen und dem Emsland. Kurz vorm Grenzübertritt sichten wir die erste Partyzone in oranje und hören zum ersten Mal das Stück der Stücke:
Bis Rotterdam schmettern wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit: „Ich will Sex mit euch allen!“, was natürlich komplett übertrieben ist – denn wer wünscht sich wirklich schon näheren Kontakt zu einer derart verschwitzten, fußlahmen Schar? Wir alle merken mehr oder weniger, was unser Körper kann und was nicht. Ich kann zum Beispiel meinen Aua-Fuß drei Tage immer wieder durch ausgiebigen Gebrauch eines Faszienballs dazu überreden, doch durchzuhalten. Ich kann in einem kaum wohnzimmergroßen, komplett überhitzten Raum im Vereinsheim eines Fußballvereins in Zutphen einschlafen. Ich kann aber nicht am nächsten Morgen zwischen zwei Laufeinheiten mal schnell einen Pfannkuchen futtern. Die fünf Minuten, die wir am Ende langsamer als geplant das Ziel erreichen – die fünf Minuten verbringe ich stöhnend im Busch.
So erreichen wir Pfingstmontag erst um 17.07 und nicht um 17.02 das Ziel unweit der hübschen Markthalle in Rotterdam. Und gegen 21.00 das eigentliche Ziel der Route, den Mexikaner am Oudehaven. Was für eine Freude. Von Schmerzen jetzt keine Spur mehr.
Übrigens: Man kann uns weiterhin mit einer Spende eine Freude machen – hier ist der Link: https://www.roparun.nl/nl/teams/alle-teams/?team_id=919 – unter „Doneer op naam van dit team“ werdet ihr eure Kröten für eine gute Sache los.