Wer eine Stunde vor dem Start eines Volkslaufs den Sportplatz erreicht, sollte in aller Regel ohne Probleme mitlaufen können. Es sei denn, man ist Lüneburger, und es handelt sich um den Tiergartenlauf des MTV Treubund. 900 Aktive haben sich angemeldet, ungefähr 875 von ihnen kennen alle anderen auf dem Platz. Dreimal festgesabbelt, viermal in Smalltalk geübt – und dann schaffe ich es gerade noch fünf Minuten vor dem Beginn der 10,5 Kilometer, meinen Rucksack wegzubringen. Uff, das war knapp.
Es mag ja wundervolle Strecken von Amelinghausen bis Bleckede geben – der Lüneburger an sich läuft am liebsten dort, wo er immer läuft: in seinem geliebten Tiergarten. Ich wackle mit diversen Mitstreitern von den Düvelsbrook Dynamics ein-, völlig gratis zweimal pro Woche durch Lüneburgs grüne Lunge und habe doch wieder meine 8 Euro bezahlt, um die sattsam bekannten Wege mit Startnummer auf dem Bäuchlein zu bewältigen.
Apropos Startnummer: Sie ist, um es freundlich zu formulieren, eingerahmt vom dicken Logo des Namenssponsoren E.ON und dessen Internetadresse. Im Vorjahr beglückte der Energieriese die Kinder mit Plastikrasseln; diesmal erhielten sogar alle Teilnehmer beim Abholen ihrer Startunterlagen eine aufblasbare Riesenhand. Klar doch, mit E.ON-Logo. Es gibt ja noch viel zu wenig Plastik auf dieser Welt.
Ein paar Aktivisten von Robin Wood warten nahe der Amselbrücke schon auf uns. Ich lese nur E.OFF und erkenne schemenhaft noch ein paar Parolen – Mist, dass ich noch keine Sportbrille trage. Trotzdem strecke ich den Daumen hoch. Und überhaupt haben nicht wenige Teilnehmer den dezenten Schriftzug des Sponsors durch einen geschickten Knick der Startnummer verschwinden lassen. Bin schon gespannt, wie viele Euro der Konzern diesmal überweist, um diesen Lauf klimaneutral zu halten. Ein plastikneutraler Lauf wäre auch mal was.
Bei Kilometer 3 wage ich einen ersten Blick auf die Uhr, weil ich sechs Tage vorm Halbmarathon in Hamburg eigentlich mein dort geplantes Tempo (4:30 Minuten/Kilometer) einüben wollte. Also hätte ich das Schild mit der großen Drei (tatsächlich ein Schild ohne E.ON-Logo) eigentlich nach 13:30 Minuten passieren müssen, die Uhr zeigt irgendetwas um 12:40. Vor Schreck breche ich postwendend ein, schleppe mich über den beliebten Berg an der Ostumgehung und nehme eigentlich nie wieder richtig Fahrt auf. Am Ende liege ich mehr als eine Minute hinter meinem Plan. Geschenkt. Jetzt weiß ich wenigstens, wie es nicht geht. Und zweimal innerhalb einer Woche kann man sich ein Rennen doch nicht so schlecht einteilen, oder?
Tiergartenlauf, das heißt für mich ja auch Arbeit, Sieger interviewen, Organisatoren nach einem Fazit befragen – was bei Wilhelm Stumpenhausen vom MTV Treubund ein nicht ganz einfacher Job ist. Erstens hat er eh grundsätzlich immer etwas zu tun, zweitens geht der gute Mann sehr sparsam-norddeutsch mit seinem Wortschatz um. Ein zwei Sätze, alles andere ist Gelaber. Man muss ihn einfach mögen.
Gut, von meinen 874 Bekannten sind ja immer noch genügend Leute auf dem Platz, die den Vormittag mit ein bisschen mehr Kommunikation ausklingen lassen wollen. Gerdjan erzählt mir etwas von seinem Urlaub auf Amrum mit viel Wein und Fisch, Kathrin von den Nöten ihres Basketballteams, einen Trainer zu finden, Nina von den Aussichten des TuS Neetze in der Fußball-Landesliga und Jonathan von seinen Erfahrungen mit der Lüneburger Marketing GmbH? Ach nein, da habe ich einiges durcheinandergeschüttelt. Zirka eine Stunde nach meinem Zieleinlauf stehe ich unter der Dusche. Tja, in Lüneburg musst du doch sehr viel mehr Zeit mitbringen als anderswo.
Mehr zur E.OFF-Aktion auf der Seite von Robin Wood.
Fotos: Kerstin Thomas/Michael Behns – viele weitere sind auf LZsport.de online.