29. März 2024

Der Sechste ist der Fieseste

Was denkt man eigentlich beim Laufen? Das fragte mich vor einer Woche nach dem Halbmarathon in Doetinchem meine niederländische Gastgeberin – und ich war sprachlos. Denke ich nur an Zwischenzeiten und daran, wie ich meinen Vordermann überholen kann? Oder höre ich lieber zu, wie die Vöglein zwitschern? Ich habe mal auf der 10,8-km-Distanz beim Herbstlauf in Westergellersen tief in mich hineingehorcht.

Vor dem Start: Wer will noch den Klimawandel leugnen? Wir schreiben den 2. November, alles läuft aufgeregt in Shirt und Tights herum. So locker wie in Westergellersen ist die Stimmung nirgendwo. Kaum einer trainiert noch für einen Marathon oder irgendwelche Landesmeisterschaften, die meisten freuen sich auf die Regeneration, Zimtsterne und Glühwein. Bei mir zieht’s in der Wade. Viermal in Folge habe ich zuletzt meine Pace nicht halten können. Also lauf bloß locker los.

Noch sieht der Schritt recht flott aus. Meine Rivalen (z.B. Nummer 252) freuen sich aber schon darauf, mich einzukassieren. Foto: Michael Behns
Noch sieht der Schritt recht flott aus. Meine Rivalen (z.B. Nummer 252) freuen sich aber schon darauf, mich einzukassieren. Foto: Michael Behns

1. Kilometer: Mein Gott, haben es alle eilig. Ein paar Jungspunde ziehen an mir vorbei, ebenso Knut und Reinhard aus meiner Altersklasse. Die sehe ich wohl nie wieder (Richtig!) Naja, vielleicht werde ich dann wenigstens Dritter. (Falsch, es wird mal wieder Platz vier.)

2. Kilometer: Vor mir läuft einer mit langer Hose und dickem Shirt. Ich würde ja eingehen. Worüber will ich eigentlich schreiben. Ach. ich habe eine Idee: Was denkt man eigentlich beim Laufen?

3. Kilometer: Ach, das Wetter ist viel zu herrlich, der Wald viel zu bunt, um hektisch zu werden. Ich guck‘ doch mal auf die Uhr. 13:50 Minuten – rund eine Minute langsamer als bei den letzten Läufen. Gut so!

4. Kilometer: Denk‘ ich überhaupt irgendetwas? Ich überlege gerade, ob das jetzt wirklich schon mein letzter Lauf in diesem Jahr ist. In drei Wochen könnte ich noch nach Ebstorf fahren. Mir wird’s zu warm unter meinem Kopftuch. Ich binde es mir lieber ums Handgelenk.

5. Kilometer: Jetzt geht’s bergab. Ich versuche, halbwegs schnell zu laufen und dabei doch Kräfte zu sparen für die fiesen Wellen, die definitiv noch kommen werden.

6. Kilometer: Ich brauche doch nichts zu trinken bei einem läppischen Zehner? Aber es ist doch ganz schön mild. Das ist Wasser? Danke!

7. Kilometer: Ich laufe schon längere Zeit zusammen mit einem der Jungspunde von vorhin. „Oh“, sagt er nur knapp, als wir die Wellen vor uns sehen. „Oh“, denke ich.

8. Kilometer: „Es sind nur vier Berge“, behaupte ich schon ein bisschen keuchend, „oder vielleicht fünf.“

9. Kilometer: Es sind sechs. Und der sechste ist der fieseste. Gehen, das wäre jetzt fein. Aber Gehen ist keine Option. Vor allem dann nicht, wenn man noch einen Läufer neben sich hat.

10. Kilometer: Wir rechnen zu zweit aus, wann wir wohl im Ziel sind. „Die 50 Minuten packen wir nicht mehr“, befürchte ich.

Die letzten 800 Meter: Wir haben den Wald verlassen, hören schon den Sprecher auf dem Sportplatz. „Mann, sind 800 Meter lang“, stöhnt der Jungspund. „Lauf mal los“, meine ich kurz vor der Zielgeraden auf dem Sportplatz – und er zischt ab. Er erreicht in 50:04 das Ziel, ich in 50:17. Ist okay, ein paar Sekunden schneller als letztes Jahr. Und diesmal sogar ohne Einbruch. Was für ein schöner Lauf. Und was einem alles durch den Kopf geht! Das müsste man mal alles niederschreiben. Aber wer soll denn so etwas lesen?

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