8. Oktober 2025

Heile Welt in Traisa

Wir mümmeln Kuchen, trinken den zweiten Becher Kaffee, genießen die Oktobersonne. Da bringt es meine Begleiterin auf den Punkt: „Traisa, das ist noch ein bisschen heile Welt. Eigentlich müssen wir doch viel häufiger zu Volksläufen fahren.“ Stimmt, es war ihr erster in diesem Jahr und mein zweiter. Doch gerade dieser wundervolle Herbert-Fürbock-Lauf in Traisa lädt doch jedes Jahr dazu ein, gleich nach den nächsten Läufen im Oktober, November, Dezember zu gucken. Da gibt es leider nur so wenige. Und Traisa ist halt nur einmal im Jahr. Jammerschade.

Was macht den Reiz dieser Veranstaltung aus? Zum einen natürlich unsere Geschichte, Traisa war 2017 unser erstes Date, das Jahr für Jahr nach einer Wiederholung schreit. Zum anderen diese schöne Strecke am Rande des Odenwalds. Sehr waldig. Schon recht fordernd, vor allem für einen Norddeutschen, aber auch nicht zu sehr. Zum dritten diese Stimmung, die ich einfach nur familiär nennen kann – ein bisschen Volkslauf, ein bisschen Volksfest.

Das Volk in der südlichen Ecke von Hessen ist schon recht kernig und naturverbunden. Überall kommen einem Silverager auf Rennrädern entgegen oder Wandergruppen mit Leuten fortgeschrittenen Alters, denen man dennoch eine Alpenüberquerung zutraut. Alle sind rank und schlank, trotz der guten hessischen Küche mit Spezialitäten wie PoKoMu (Pommes, Kochkäse und Musik), die meine Begleiterin später im Kirchberghäuschen nahe Bensheim verschlingen sollte. Aber ich schweife wie üblich ein wenig ab.

Wer in Traisa läuft, hat sich eine Portion PoKoMu redlich verdient.

 

Was in Traisa und auch anderswo im Rhein-Main-Gebiet ganz anders ist als bei uns in der Lüneburger Region: Es gibt noch unglaublich viele Clubs, die mit ordentlichen Abordnungen solche Läufe besuchen. Die allermeisten Starterinnen und Starter tragen Trikots ihres Vereins aus Darmstadt, Eberstadt, Ober- und Nieder-Ramstadt oder Roßdorf, um nur einmal die benachbarten Orte zu nennen. Traisa selbst, ein Ort mit kaum 3000 Einwohnern, hat nicht nur den SV zu bieten, sondern auch die TG mit vielen starken jungen Aktiven. Klar, dass man da als Nordlicht aus einer freien Gruppe, in der Lauf-ABC ebenso ein Fremdwort ist wie Intervalltraining, aufpassen muss, nicht völlig den Anschluss zu verlieren. Formulieren wir es mal so: Im Norden komme ich bei Volksläufen in der Regel noch im vorderen Mittelfeld meiner Altersklasse und im mittleren Mittelfeld des Gesamtfeldes an. Hier in Traisa? Keine Chance.

Dafür aber gibt es vor Ort herzliche Grüße vom Organisator Wolfgang, der es 2017 noch für einen Scherz gehalten hatte, dass jemand aus Lüneburg unbedingt hier mitlaufen will. Das eine oder andere Gesicht im Starterfeld wie auch bei den Helfern kommt uns mittlerweile auch vertraut vor. Jeder babbelt hier mit jedem. Zwei Frauen feuern das Feld genau da an, wo es am nötigsten ist: oben am Stellweg (da geht es 500 Meter steil bergauf) und bei Kilometer neun, dem Ende der rund zwei Kilometer langen Steigung, die gar nicht so fies erscheint, aber einfach nicht aufhören will.

77 Prozent der Distanz sind doch harmlos

Ich versuche es diesmal mit positivem Denken. Die 500 Meter Stellweg und die zwei Kilometer Berg ohne Namen mögen fies sein, dafür sind die anderen 8,5 Kilometer des Herbert-Fürbock-Laufs und damit gut 77 Prozent der Distanz doch harmlos. Und ich versuche es mit Einteilen meiner Kräfte. Das versuche ich praktisch immer, diesmal gelingt es aber halbwegs. Auf den ersten drei halbwegs flachen Kilometer halte ich mich vornehm zurück, auch nach dem Stellweg lasse ich es etwas lockerer rollen.

Dazu habe ich das Glück, drei Frauen zu finden, die in etwa die gleiche Pace laufen und an die ich mich immer wieder dranhängen kann – danke, Claudia, Misaki und Sandra, die mich am Ende natürlich stehenlassen.  Trotzdem bin ich stolze zwölf Sekunden schneller als im Vorjahr, der körperliche Verfall ist also zumindest vorübergehend gestoppt. Vielleicht steckt mittlerweile auch ein kleiner Odenwälder in mir?

Glücklich im Ziel, die 189 und 198.

Meine Begleiterin erweist sich einmal mehr als Königin des Understatements, erreicht nicht wie befürchtet als abgeschlagene Letzte nach 1:20 Stunden das Ziel, sondern nur ein paar Augenblicke nach mir. Auch das Wetter war deutlich besser als angesagt, sodass wir uns noch gern die Schüler- und Jugendläufe angucken. Über 1000 wie über 2000 Meter gibt es bei den Jungs ganz harte Kämpfe um Platz eins auf der Zielgerade. Toll, dass sich die Konkurrenten, die sich 50 Meter Schulter an Schulter duelliert hatten, danach abklatschen, der Zweite dem Ersten fair gratuliert – auch ein bisschen heile Welt.

Und wir lernen mal wieder, dass nicht immer die gewinnen, die am Anfang in der ersten Reihe stehen, ihr Knie besonders schmuck getapt haben oder sich vorher besonders professionell aufwärmen. Aber Respekt vor den Leistungen der Lütten: Der Sieger über 1000 Meter ist sieben Jahre alt und braucht nur 4:04 Minuten, die beiden schnellsten Jugendlichen rennen 2000 Meter (incl. Waldstück mit einigen Höhen und Kurven) in 6:37 Minuten. Die werden uns in ein paar Jahren beim Hauptlauf sicher eine Viertelstunde oder mehr abnehmen. Egal, Hauptsache, wir können wiederkommen.

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