21. November 2024

Feuer im Ofen

Ofen nennt sich ein kleiner, beschaulicher Ort, der direkt an Oldenburg grenzt, aber zu Bad Zwischenahn gehört. Das althochdeutsche Wort ouwa, so erklärt man es bei Wikipedia, bedeutete so viel wie Aue oder Wiese. Das alles wusste ich bis vor ein paar Tagen übrigens nicht. Und erst recht wusste ich nicht, dass es sich beim Herbstlauf des TuS Ofen nicht um irgendeinen kleinen Aue- und Wiesenlauf durch die Pampa handelt, sondern um ein ausgewachsenes Event mit mehr als 1000 Teilnehmern, das man unbedingt mal miterlebt haben muss. Nicht zuletzt, weil man dort ganz unverhofft sogar Bestzeiten laufen kann. Es brennt halt doch noch, um mir mal ein Wortspiel mit dem Ortsnamen zu leisten, etwas Feuer in meinem Ofen.

Abenteuerlich fällt bereits die Anreise aus. Am Oldenburger Hauptbahnhof findet sich kein einziges Leihrad mehr, der Busverkehr ist wegen des Festumzugs anlässlich des Kramermarkts auch stark eingeschränkt. Kramermarkt? Für Nicht-Oldenburger: Das ist eine Mischung aus Oktoberfest, Love Parade und Rosenmontagsumzug, die selbst mich Festmuffel für ein ganzes Weilchen am Straßenrand staunen lässt. Irgendwann habe ich aber doch einen Bus Richtung Ofen erobert – der fährt übrigens an diesem Tag nicht direkt nach Ofen, „weil da Marathon ist“, erklärt die Fahrerin. Also noch ein paar Extrameter für mich.

Marathon ist da übrigens nicht. Nur Läufe ab 800 Meter für die Lütten bis 10 Kilometer für Möchtegern-Cracks wie mich. Aber was heißt hier „nur“? Der ganze Ort scheint auf den Beinen zu sein, um zu laufen, zu helfen oder wenigstens zu gucken. Ein „zertifizierter 5-Sterne-Lauf“ wartet da auf mich und auf die vielen anderen Leute, die sich hier versammelt haben. Ich lese auf den Shirts sehr häufig Oldenburg, aber auch Delmenhorst, Emden, Lemwerder oder Rastede, bei den Jüngeren vor allem FC Bayern oder Werder Bremen. Auch die Trikots der Nationalmannschaft stehen hoch im Kurs.

Der Zehner besteht aus drei Runden durch den Ort und ein kleines Schlussstück Richtung Sportplatz. Beim Warmlaufen inspiziere ich die Runde, die mit blauen und roten Luftballons abgesteckt ist. Recht kurvig, aber flach wie ein Pfannkuchen. Einige Anlieger haben den Herbstlauf zum Anlass genommen, ein paar Bratwürste auf den Grill zu legen und ein paar Flaschen Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Sogar ein Flohmarktstand findet sich direkt an der Strecke. Soll ich vielleicht ein paar Münzen für ein Schnäppchen einpacken? Zum Feilschen werde ich wohl keine Zeit haben…

Nun aber rückt der Start näher. Nicht umsonst (nein, für lächerliche 8 Euro) habe ich mir einen offiziell ausgemessenen Zehner ausgesucht, denn meine Bestzeit auf dieser Strecke ist arg verbesserungswürdig. „Sub 44“ heißt heute mein Motto. Ich drängle mich in die dritte Reihe vor und gehe das Rennen recht optimistisch an. Erster Schock: Eine grauhaarige Dame zieht locker an mir vorbei (es handelt sich um Waltraud Klostermann vom TV Norden, deutsche Meisterin der W55 über 3000 Meter – so viel zu meiner Ehrenrettung). Dafür haben sich die meisten Jungs mit dem Aufdruck „TuRa 76“ auf den roten Shirts, wie zu erwarten war, maßlos überschätzt. Die ersten gehen schon nach ein paar hundert Metern. Fußballer halt! Oder Handballer? Egal, solange sie hinter mir sind.

Ich genieße den Lauf, mein Tempo und die Stimmung, bis mich irgendwann der nächste Schock erwischt: Wie schnell bin ich eigentlich? Erst nach etwas Grübeln habe ich das Rätsel der Kilometerschilder à la „8/3/1“ gelöst – die sind nämlich für die Läufe über 3, 5 und 10 Kilometer gleichermaßen auf der Runde verteilt. Ich passiere die „5“. Blick zur Uhr: 21:25. Wow! Beziehungsweise: Au weia! Das ist doch einfach viel zu schnell. Ich werde eingehen wie eine Primel. Noch bin ich immerhin in der Lage auszurechnen, dass mir jetzt ein 4:30er-Schnitt pro Kilometer für die „Sub 44“ reichen würde.

Die Zeit für aufbauende Selbstgespräche ist gekommen: Quäl dich mal! Der Opa da vorn rennt dir jetzt doch nicht weg! Nicht nachlassen, fauler Sack! Im Ziel kannst du dich immer noch ausruhen! Du bist doch nicht so weit gefahren, nur um hier einen auf Jogger zu machen! Noch ein paar Sätze mehr mit dicken Ausrufezeichen – und ich habe wieder ein Kilometerschild passiert. Ich werde leider ein bisschen langsamer. Hm, eine 44:05 wäre doch auch noch eine Bestzeit… Nein, heute soll meine Zeit mit einer 43 beginnen. Warum auch immer das jetzt unbedingt sein muss, diskutiere ich nicht mehr mit mir selbst aus, denn mittlerweile brauche ich wirklich meine ganze Kraft für die letzten Meter.

Ab nach rechts zum Sportplatz. Da erwartet mit der dritte Schock: Ein Knabe von der Emder LG, kaum halb so groß wie ich, spurtet in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei. (Finn Schneider heißt er, ist immerhin schon 12 Jahre alt. Sicher der schnellste 12-Jährige in ganz Ostfriesland.) Wie fast jeden anderen Finisher kündigt Moderator Heino mit nie nachlassender Begeisterung auch mich an, stolpert nicht einmal über die zumindest in diesen Breiten ungewohnte Ortsangabe „Lüneburg“. Ich grüße zurück, aber für weitere Mätzchen habe ich keine Zeit, denn da ist schon die Uhr auf der Ziellinie in mein Blickfeld gerückt. 43:52, 43:53, 43:54…

Bei 43:55 bleibt sie stehen. Zumindest für mich, denn für alle weiteren Läufer tickt sie natürlich weiter. Ich bin so glücklich über diese Zeit, nur knapp mehr als eine Viertelstunde langsamer als der Weltrekord, dass ich sogar völlig enthemmt die Arme für ein Viertelsekündchen im Ziel hochreiße. Hach, ein herrliches Gefühl, mal keine Ausreden suchen zu müssen. Obwohl: Wenn ich das Rennen ein bisschen besser eingeteilt hätte oder es ein bisschen kühler gewesen wäre… Nein, das heute war schon das Optimale. Wenigstens für mich, der in den vergangenen Wochen konsequent jegliches Tempotraining vermieden hat. Scheint besser zu sein für mich.

Im Zielraum gibt es ein paar nette Fachgespräche mit einem Oldenburger, noch einem Oldenburger und einem dritten Oldenburger sowie statt einer Medaille ein Lebkuchenherzchen mit der Aufschrift „Herbstlauf TuS Ofen“. Selbst die Duschen sind warm, die Jungs an der Taschenausgabe bestens drauf und die Verpflegung erstklassig. Eine tolle Geste auch, Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea einzuladen und gratis mitlaufen zu lassen. Gibt’s denn hier überhaupt nichts zu meckern?

Später registriere ich am Oldenburger Hauptbahnhof, dass offenbar rund 95 Prozent aller pubertierenden Mädchen und Jungs im Bezirk Weser-Ems heute den Kramermarkt entweder schon angesteuert haben oder gerade ansteuern. Ich steig‘ dagegen in den Zug Richtung Bremen und erlaube mir ein allerletztes Wortspiel: Der Ausflug war jetzt wirklich kein Schuss in den Ofen.

Hübsche Fotos von den Laufreportern.

2 Gedanken zu “Feuer im Ofen

  1. Sehr schöner Bericht :-). Zeigt mal wieder, dass diese Wald-Und-Wiesen Veranstaltungen ihren eigenen Charm haben und teilweise besser organisiert sind als manche Großveranstaltung..

  2. Hallo, ein wirklich toller Bericht über unseren Herbstlauf, mal aus einer aus anderen, nämlich überregionalen Sicht. Vielen Dank für das Lob, es freut uns dass es Dir gefallen hat. Vielleicht bist Du ja nächstes Jahr wieder dabei, evtl. sogar mit Lauffreunden aus dem schönen Lüneburg.
    Viele Grüße, Ralf

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