In Scharnebeck ist immer schlechtes Wetter. Zumindest immer Mitte März, wenn dort der Volkslauf ansteht – allenfalls 90-jährige Laufveteranen können sich wahrscheinlich an eine sonnige Ausgabe dieses Laufs erinnern. Diesmal schien wochenlang die Sonne, wir schleckten Eis und fuhren sinnlos in Cabrios herum. Doch einen Tag vor Scharnebeck, klar, da wurde es wieder finster, kalt, nass und windig. Scharnebecker Wetter halt.
Zum dortigen Schiffshebewerk-Volkslauf habe ich ein ganz besonders zärtliches Verhältnis. Hier habe ich vor sieben Jahren meinen ersten Volkslauf bei richtig widerlichem Wetter (3 Grad, Sturm und Regenschauer) überhaupt bestritten – und damals habe ich die wahnsinnigen Kerle und Mädels bewundert, die sich die doppelte Dosis gaben, also den Halbmarathon rannten. Und jetzt fiel mir bei der Anmeldung erst auf: Ausgerechnet in Scharnebeck habe ich noch niemals für die doppelte Runde gemeldet. Was ich unbedingt nachholen musste.
Vorm Start die übliche Aufregung: Es war zwar acht Grad warm, für Scharnebecker Verhältnisse geradezu tropische Temperaturen, aber höchst windig. Als alter Harzer, der den Novembersturm von 1973 als ein erstes einschneidendes Erlebnis seiner Kindheit ganz tief innen abgespeichert hat, schrecken mich Windstärken in einstelliger Höhe nicht. Komisch kam es mir aber doch vor: Fast alle trugen lang, nur ich kurz. Und nach einer Einlaufrunde erkannte ich auf meinen Armen mehr als nur den Ansatz von Gänsehaut.
Aber habe ich jemals bei einem Volkslauf gefroren? Nein, und auch diesmal ist spätestens nach den ersten flotten Kilometern jegliche Angst vor dem Kältetod verflogen. Wer Scharnebeck nicht kennt: Auf dem Zehner muss man einmal einen zirka zwei Kilometer langen, semifiesen Anstieg bewältigen. Die Halbmarathonis rennen da nicht nur zweimal hoch, sondern der Anstieg ist sogar noch gut einen Kilometer länger. Fast bis zum höchsten Punkt von Lüneburg – Süddeutsche und Harzer dürfen jetzt lachen -, der Steinhöhe 86 Meter über Normalnull.
Missbraucht als Windschatten
Dieser Monsteranstieg war allerdings nichts gegenüber dem Rückweg am Elbe-Seitenkanal, wo sich der Wind, das himmlische Kind, einen armen Läufer nach dem anderen packte und fast in den Kanal schleuderte. Windschatten war rar gesät, zumal ich auf der zweiten Runde lange Zeit allein meine Meterchen machte.
Gemein ist es dann vor allem, wenn jemand anderes mich als Windschatten ausgewählt hat. Ich hörte minutenlang einen hinter mir, leichter Schritt, keine Schnaufgeräusche – am Ende der Kanalstrecke ließ ich ihn großzügig passieren und ziehen. Mein Pech: Dieser Mensch kam am Ende als 23. der Gesamtwertung und 3. seiner (und meiner!) Altersklasse ins Ziel, ich als 24. Gesamt und 4. unserer AK. Fies!
Wäre ich Claudia Pechstein, hätte ich wohl CAS, Bundesgerichtshof und UNO-Menschenrechtskommission bemüht. So aber freute ich mich über meine Zeit deutlich unter den anvisierten 1:40. Meine Güte: Vor sieben Jahren hatte ich hier mit großer Mühe die halbe Distanz in knapp unter einer Stunde geschafft. Und außerdem könnten die zwei Läufer motzen, an deren Fersen ich mich bei der ersten Kanalpassage geheftet hatte…
Ein gewichtiges Argument für die kurze Strecke spürte ich aber ein paar Minuten später am eigenen Leib. Nach zehn Kilometern war ich in Scharnebeck in früheren Jahren wenigstens noch in den Genuss lauwarmen Wassers gekommen, nach dem Halbmarathon waren die Duschen eiskalt. Scharnebecker Wetter halt.