3. Dezember 2024

Mir ist so einheitlich

„Lächelt“, ruft der Mann, „bald ist Weihnachten!“ Ich lächle, denn bald liegt der letzte Hügel hinter mir beim Ratzeburger Adventslauf. Ein Wettkampf, mit dem ich noch eine kleine Rechnung offen hatte, weil ich dort bei meinem Debüt vor drei Jahren fürchterlich eingegangen bin. Diesmal komme ich deutlich besser durch – aber kommt es darauf an?

Meine lustigste Medaille des Jahres. Zu sehen ist „Ratzi“, die Rennente. In Ratzeburg warnt ein Verkehrsschild übrigens vor Entenwanderungen, am anderen Ende des Sees wird vor Ottern gewarnt. Tierisch gefährlich, dieser Lauf!

Im Ziel treffe ich Jörg, den ich bei meinen ersten Gehversuchen vor gut einem Jahrzehnt noch häufiger in Lüneburg getroffen habe. „Heute bin ich hier zum 20. Mal gelaufen“, erzählt er. „Aber nicht mehr mit dem Ehrgeiz von früher.“ Seine Schwiegereltern wohnen direkt an der Strecke, deshalb ist er Stammgast in Ratzeburg. Jörg ist zum 20. Mal am Start gewesen, der Adventslauf fand zum 30. Mal statt. Und das hat sehr viel mit der deutschen Einheit zu tun.

Die 26-Kilometer-Runde führt auch durch die Dörfer Campow und Utecht (nein, hier fehlt kein r). Hier tragen die Autos NWM für Nordwestmecklenburg als Kennzeichen, es wird für Lübzer Pils geworben. Zwei untrügliche Zeichen dafür, dass der Kurs gut sechs Kilometer durch die Ex-DDR führt. Am Nordufer des Ratzeburger Sees überqueren wir eine Brücke und sind wieder in Schleswig-Holstein. Das ist mittlerweile so selbstverständlich wie der kleine Ausflug ans andere Rheinufer nach Hessen beim Mainz-Marathon. Aber 1990 – da war das noch ein Abenteuer. Reste der Grenzsicherungsanlagen waren da noch zu erkennen, Stacheldrahtzäune, Wege, auf denen ein Jahr zuvor noch DDR-Grenzposten unterwegs waren.

Der damalige Organisator Wulf Schmidt erzählt kurz vorm Start von den Anfängen. „Keine Ahnung“ hatte er damals gehabt, wie viele Leute wohl das Rennen angehen wollen. Er hatte auf 500 gehofft, gekommen sind 600. Mittlerweile sind es mehr als 2500, die sich auf die drei Strecken verteilen. Wessis, Ossis und die jungen Hüpfer, die diese Teilung nur noch aus den Geschichtsbüchern oder aus den Erzählungen von uns Boomern kennen.

30 Jahre ist das jetzt her mit dem Mauerfall. Damals hatte ich mehr damit zu tun, meine damalige (und aktuelle) Flamme zu erobern, aber Ausflüge von Göttingen aus in den wilden Osten gehörten zu den Dates, an die wir beide bis heute gern denken. Mit Laufen hatte ich damals absolut nichts am Hut. Aber was hat die Einheit möglich gemacht? Ich bin zum Beispiel in Dresden und Leipzig beim Marathon dabei gewesen, habe in Schwerin den Fünf-Seen-Lauf mitgemacht. Und beim 25-Kilometer-Lauf in Berlin durfte ich durchs Brandenburger Tor rennen. Ein erhebendes Gefühl.

Und jetzt Ratzeburg, knapp eine halbe Stunde Mecklenburg-Vorpommern inklusive. Sehr diesig ist es diesmal, recht kalt, aber wenigstens so gut wie trocken und windstill. Ich teile mir das Rennen (im Gegensatz zu dem von 2016) halbwegs gut ein, komme anständig über die Hügel und bin fast zehn Minuten schneller als vor drei Jahren. Hüstel, damals war die Strecke baustellenbedingt aber auch ein paar hundert Meter länger. Egal, ich bin heute großzügig mit dem Eigenlob. Denn bald ist ja Weihnachten.

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