20. April 2024

Au, aus, Ausreden

Es gibt nicht für alles in unserem Leben eine Erklärung, sehr wohl aber eine passende Ausrede. Ein schöner Spruch, der leider nicht von mir stammt, sondern von einem österreichischen Dichter und Aphoristiker namens Ernst Ferstl. Ob der gute Mann einen Volkslauf bestritten hat, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Dabei hat er den tieferen Sinn des Wettkampfs präzise erfasst. Langsam läuft man nicht etwa, weil man zu doof war, sich eine überschaubare Zahl an Kilometern vernünftig einzuteilen, oder weil man eh ein fürchterlich unsportlicher Knochen ist. Nein, für alles gibt es mindestens eine Ausrede.

Halbzeit. Noch mache ich Faxen. Fotos: Kerstin Thomas
Halbzeit. Noch mache ich Faxen. Fotos: Kerstin Thomas

Tiergartenlauf, der Hamburg-Marathon des kleinen Mannes. Nirgendwo sonst sehe ich so viele bekannte Gesichter aus dem Lüneburger Lauf-Kosmos. Nirgendwo sonst ist es ein Ding der Unmöglichkeit, einfach unbeobachtet seine Runde zu drehen. In völliger Ignoranz meiner zurzeit überschaubaren Form habe ich mich sogar für zwei Runden, also für 19,1 Kilometer, angemeldet.

Erfahrene Läufer zünden die erste Stufe der Ausreden-Rakete schon bei der Anfahrt. Es zwickt und zwackt bei mir seit einiger Zeit: Mit dem linken Fuß bin ich gerade erst umgeknickt, die rechte Leiste macht immer wieder auf den ersten Kilometern unangenehm auf sich aufmerksam – jetzt auch wieder beim Radeln zum Platz des MTV Treubund. Besser geschlafen habe ich auch schon einmal – die halbe Nacht prasselte der Regen aufs Dach.

Für die zweite Stufe ist dringend Publikum erforderlich, am besten andere Starter beim Einlaufen. Am besten funktionieren die Ausreden, wenn man sie sich wie beim Pingpong gegenseitig zuspielt. „Puh, ist das drückend.“ – „Und ganz schön warm.“ – „Wird bestimmt ziemlich matschig.“ – „Ich habe heute lieber meine alten Schuhe angezogen.“ – „Die Sofas? Das kostet aber Zeit.“ Und so weiter. Findet man einen erfahrenes Ausreden-Gegenüber, dann grenzt es schon an ein Wunder, dass man sich überhaupt noch bis zur Startlinie schleppen kann. Um 9.10 Uhr. Noch ein Ausreden-Thema. Ist das nicht eigentlich viel zu früh?

Stufe drei besteht dann wieder aus einem Monolog auf der Strecke. Dummerweise zwickt der Fuß nicht, zwackt es auch nicht an der Leiste. Die paar Pfützen sind nicht der Rede wert. Und die 15 Grad Lufttemperatur gehen auch nicht gerade als tropische Hitze durch. Gut 12 Kilometer lang laufe ich wie eine Maschine. Wie ein VW Polo, nicht wie ein Porsche, zugegebenermaßen. Doch dann droht der Kolbenfresser. Zum zweiten Mal mühe ich mich den Hauptweg durch Wilschenbruch entlang. Dann naht der riesige Berg an der Ostumgehung. Gut, während der ersten Runde war das noch ein Hügelchen, nicht der Erwähnung wert. Aber ich mag das ständige Auf und Ab beim Tiergartenlauf einfach nicht. Lieber zwei, drei ehrliche Anstiege. Eine schöne Ausrede entsteht in meinem Kopf: Hier kann ich einfach nicht schnell laufen.

Zielankunft. Die letzten Meter haben mir schon einmal mehr Spaß gemacht...
Zielankunft. Die letzten Meter haben mir schon einmal mehr Spaß gemacht.

Lange waren wir Langstreckler unter uns. Am Ende flitzen die allerschnellsten Zehner an uns vorbei. Ich grüße die eine oder andere Läuferin von der 6-km-Strecke, an der wir uns nun vorbeimühen, und bemühe mich darum, einen halbwegs fitten Eindruck zu hinterlassen. Bei diesen Hampeleien lasse ich meine allerletzten zweieinhalb Körner. Sogar Alex, angeblich am Ende seiner Kräfte, überholt mich noch kurz vorm Ziel und sichert sich den glorreichen 28. Platz, während ich vernichtend geschlagen als 29. Richtung Ziel krieche.

Nun folgt aber die vierte Stufe, die Königsdisziplin der Ausreden direkt nach der Zielankunft. Während die lieben Mitläufer weiterhin die Schwüle, das feuchten Geläuf und das eine Bier zuviel am Abend zuvor bejammern, übe ich mich in der hohen Kunst der nonverbalen Ausrede. Block und Stift habe ich in der Hand, um ein paar Stimmen der Sieger für meinen Arbeitgeber einzufangen. Aber wieso habe ich schon den Namen der besten Trimmläuferin vergessen, zwei Sekunden, nachdem sie ihn mir gesagt hatte? Und wieso ist mein Block so schwarz? Und warum fühle ich mich plötzlich so…

Meine Beine fühlen sich an wie Marmelade. Die Knie knicken ein, und ich muss mich hinsetzen. Eine kleine Kreislaufschwäche – fast ein bisschen wie bei meinem legendären Stunt auf Mallorca, als ich meinen ersten Marathon nach gut 39 Kilometern mal für fast eine Stunde unterbrechen musste, weil ich nur noch Sternchen sah. Mühsam rapple ich mich auch diesmal wieder hoch, muss wohl noch ein wenig blass um die Nase sein. Alles erkundigt sich besorgt nach meinem Befinden. Prima, kann nicht besser sein. Denn weitere Ausreden kann ich mir jetzt endgültig ersparen.

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