7. Oktober 2024

Reif fürs Kloster

Karl der Große hat potenzielle Konkurrenten um die Macht im Frankenreich nicht einen Kopf kürzer machen lassen. Nein, er war so human, seine unliebsamen Familienmitglieder ins Kloster abzuschieben. Ich fuhr jetzt freiwillig zum Kloster. Zum Kloster Ebstorf, das nicht nur für seine Weltkarte berühmt ist, sondern auch für den Adventslauf. Ich habe eine alte Rechnung mit mir selbst beglichen und vor allem mal wieder einiges gelernt.

Vorm Start waren Michael und ich noch gleichermaßen gut drauf. Im Hintergrund: Klostermauern...
Vorm Start waren Michael und ich noch gleichermaßen gut drauf. Im Hintergrund: Klostermauern…

Erkenntnis Nummer 1: Die Zehner werden überschätzt. Michael, mit dem ich Richtung Ebstorf fahre, wirbt schon auf dem Hinweg kräftigst für die in unserem Kreis so stiefmütterlich behandelten Fünfer. Nur etwas für Kinder und Anfänger sei diese Distanz, hört er immer wieder. Michael selbst läuft derzeit die Fünfer (und zwar ziemlich fix) aus gesundheitlichen Gründen und musste sich schon diverse Male dafür anpflaumen lassen. Okay, Ebstorf befindet sich nicht im Landkreis Lüneburg, sondern im Nachbarkreis Uelzen – und dort gibt es haufenweise Cracks, die über 5,3 km starten und nicht über 10,6. Der Schnellste, ein gerade 17 Jahre alter Sausewind namens Yannick Burger, gehört in seiner Altersklasse national zu den Topleuten und ist nach knapp über 17 Minuten wieder im Ziel. Exakt 71 Leutchen laufen die zwei Runden rund ums Kloster, nur 52 die vier Runden (= 10,6 km), darunter natürlich die meisten hergereisten Lüneburger, weil die es einfach nicht anders kennen.

Nun, auch ich habe mich für die Langstrecke (ja, im Uelzener Raum gehen die 10,6 km als Langstrecke durch!) entschieden, weil ich einen Fünfer einfach nicht laufen kann. Wenn ich etwas besitze, dann ist es Grundlagenausdauer; wenn ich etwas nicht besitze, dann die Fähigkeit, wirklich schnell zu laufen. „Leicht crossig“, so wurde ich vorgewarnt, ist der Kurs. Am Start stehen in der ersten Reihe gut zehn Leute, die sich vom kläglichen Rest des Feldes durch den deutlich niedrigeren BMI und durch ihre Vereinstrikots unterscheiden. „Post SV“ steht da oder „VfL Suderburg“ – übersetzt heißt das: „Glaub bloß nicht, dass du Normalsterblicher uns auch nur 100 Meter folgen kannst“. Diese zehn Heide-Afrikaner sind nach der zweiten Kurve auch weg. Nach der vierten Kurve lässt mich Daniel vom Lauftreff stehen. Ich bin jetzt 13. und werde es bis zum Zieleinlauf bleiben.

Das Völlig-egal-Gefühl

Erkenntnis Nummer 2: Gut, dass das Laufjahr jetzt zu Ende ist. Einmal wollte ich noch gegen die Uhr rennen, das Letzte aus mir herausholen. Doch auf Runde eins friere ich noch gewaltig an den Händen, auf Runde zwei passieren mich die schnellsten Fünfer, auf Runde drei überrunde ich die langsamsten Zehner (es gab schon eine gewaltige Bandbreite). Und auf Runde vier ist Daniel endgültig nicht mehr in Schlagweite. Ich trabe allein über die wahrlich leicht crossigen Waldwege und verliere mich in meinen Gedanken. Ist doch völlig egal, ob du jetzt zehn Sekunden schneller laufe oder nicht, denke ich. Lauf dich locker aus, dann tut dir morgen nichts weh, denke ich. Niemand kann dich jetzt mehr überrunden, weil du eh schon in der letzten Runde bist, denke ich. Und so konfus, wie ich denke, laufe ich auch die letzten ein, zwei Kilometer.

49:32 Minuten benötige ich. Drei Sekunden weniger als vor zwei Wochen in Westergellersen – aber die Strecke damals war rund 100 Meter länger und um einiges hügeliger. Sei’s drum, vielleicht habe ich wenigstens die Schande von 2007 wettgemacht? Damals bin ich in meinem allerersten Laufjahr mit einem guten Dutzend Lüneburgern nach Ebstorf gefahren. Und alle, wirklich alle, sind auf dem Treppchen gelandet. Nur ich hatte wieder die Altersklasse erwischt, in der doch mehr als drei Leutchen nichts besseres am 1. Advent vorhatten, als mir davonzulaufen. Damals rannte ich auf dem alten Kurs 48:33, mein erster Zehner unter 50 Minuten. Später erst bekam ich mit, dass der alte „Zehner“ nicht einmal 9 km lang war…

Aber diesmal: Platz zwei! Der Sieger meiner M45 ist auch der Gesamtschnellste, fast elf Minuten vor mir fertig – das Zielfoto zur Ermittlung des Triumphators können sich die Organisatoren also schenken. Aber dann schon: ich! Und das führt mich zu meiner dritten und wichtigsten Erkenntis: Ein richtig familiärer Lauf ist einer, bei dem selbst ich die Chance auf eine Medaille habe. Danke, Ebstorf.

Hübsche Fotostrecke auf AZ online.

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