28. März 2024

Jenseits des Wohlfühltempos

Ein alter Mann ist kein D-Zug. Ein Lieblingsspruch von mir, der aber in Zeiten des ICE vielleicht ein wenig an Aktualität verloren hat. Auf der Laufbahn wäre ich schon froh, wenn ich wenigstens D-Zug-Tempo entwickeln könnte und nicht immer so gemütlich wie eine Bimmeleisenbahn unterwegs wäre. Jetzt endlich konnte ich alter Mann mich wirklich nicht mehr um die erste Tempoeinheit drücken. Eine Einheit, die mich mal wieder Demut lehrte.

Mein zweiter Versuch über 600 Meter. (Symbolfoto)
Mein zweiter Versuch über 600 Meter. (Symbolfoto)

Erst einmal drucke ich den Greifschen Marschbefehl aus:

1. Woche: Je 2 x 600 – 800 – 1000 – 1200 m in 2:29 – 3:25 – 4:24 – 5:21 min sec bzw. min. Gleiche Länge Trabpause, auf keinen Fall abkürzen. Laufe jede Serie im beschriebenen Rhythmus durch, erst alle 600-er, dann alle 800-er usw. Pulsbereich unbegrenzt. Vorsicht bei dieser Einheit, laufe nicht zu schnell an!

Huppsa, das „2x“ hatte ich zuvor erfolgreich übersehen. Ich entscheide, dass ich zumindest die 1200er mit Rücksicht auf den Deichlauf am Sonntag erst einmal weglasse. Immerhin muss ich erst einmal zum Kanal hochlaufen, wo alle 100 Meter ein Stein gesetzt ist, das sind schon gut 3,75 Kilometer. Auf der Hälfte der Strecke fällt mir ein, dass ich ja eigentlich den Brustgurt mitnehmen wollte. Kurz vor den 49 Stufen hoch zum Kanal denke ich:  „Hätte ich doch bloß etwas zu trinken mitgenommen. Egal. Jetzt zählt’s.

1. 600er: Immer schön die Arme mitnehmen.Bloß kein Schlappschritt, immer schön nach dem Vokuhila-System. Die Uhr bleibt bei 2:29 stehen. Wahnsinn, ich bin ein Naturtalent!

2. 600er: Es geht wieder zurück, nicht mehr Richtung Bienenbüttel, sondern Scharnebeck. Warum ist mir der heftige Sturm, bestimmt Windstärke 2, bisher noch nicht aufgefallen? Eine Yacht tuckert mir auf dem Kanal entgegen, der Skipper schaut mich an und staunt. Nach der Hälfte der Strecke spüre ich ein leichtes Brennen im Oberschenkel. Ich rette mich ins Ziel. 2:33. Ach, was sind schon vier Sekunden.

Mein zweiter Versuch über 800 Meter. (Symbolfoto)
Mein zweiter Versuch über 800 Meter. (Symbolfoto)

1. 800er: Ich hatte einen Zettel mit den Längen und Zeiten mitgenommen, dazu einen Bleistift, um meine Zeiten zu notieren. Der Bleistift ist jetzt weg. Nun, ich durchsuche meine Popotasche gewissenhaft nach dem Stift. Zwar ohne Ergebnis, dafür habe ich aber noch ein paar Sekunden mehr Pause herausgeholt. Und ich laufe exakt 3:25. Wie ein Uhrwerk! Ich bin stolz auf mich.

2. 800er: Ich hätte definitiv etwas zu trinken mitnehmen müssen. Nach gefühlten 400 Metern schaue ich auf den nächsten Kilometerstein – ich habe gerade erst 200 geschafft. Ich ziehe die Arme schon ein bisschen hoch wie sonst erst auf dem 41. Marathon-Kilometer, mein Laufstil hat mit Vokuhila ungefähr so viel zu tun wie die Frisur von Kojak. Nach 600 Metern bin ich fix und alle. Bei 14 Grad schwitze ich wie im Urwald. 3:33 heißt diesmal die Zeit. Schwach, aber wenigstens kann ich mir diese Zahlen noch gut merken, wo ich doch meinen Stift verloren habe.

Mein einziger Versuch über 1000 Meter. (Symbolfoto)
Mein einziger Versuch über 1000 Meter. (Symbolfoto)

Jetzt noch ein 1000er in diesem Tempo – und ich dehydriere, bekomme Krämpfe oder breche auf irgendeine andere Weise zusammen. Ich trete den Heimweg an, schön gemächlich, mit einem kleinen Umweg über die Erbstorfer Landstraße, um dort auf dem Radweg 1000 abgemessene Meter herunterzutrommeln. Nach knapp der Hälfte der Distanz stoppt mich eine rote Ampel. Ich stoppe. Zutiefst entsetzt darüber, dass diese Einheit so abrupt endet. Wie schade…

In einer Woche versuche ich mein Glück noch einmal. Vielleicht komme ich dann tatsächlich bis zum zweiten 1000er.

Fotos: wikipedia

4 Gedanken zu “Jenseits des Wohlfühltempos

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