4. Oktober 2024

Nicht noch ein Laufmagazin!

Die Welt braucht nicht noch ein Laufmagazin. Eben: Die Welt braucht „Nicht noch ein Laufmagazin!“ NNEL – die Nullnummer steht. Wir haben fleißig alle möglichen Zeitschriften durchblättert, nur das Beste herausgefiltert. Tataaa! Schon steht unser Konzept.

Das Titelbild!

Das Cover in voller Pracht - nur kein Versprechen vergessen!
Das Cover in voller Pracht – nur kein Versprechen vergessen!

Nein, niemand soll uns vorwerfen, dass dort immer nur eine Blondine mit kurzem Höschen und ein paar dekorativen Schweißperlen am Bauchnabel durch die Gegend hüpft. In der Ausgabe Januar 2016 ist eine Brünette mit halblangen Tights auf dem Cover, versprochen! Alle paar Monate drucken wir Leserbriefe ab, in denen herumgenölt wird, dass wir immer nur diese langweiligen Models zeigen würden und niemals echte Läufer. Also werden wir einmal pro Jahr zu einem Wettbewerb aufrufen: Schmücken Sie unser nächstes Cover! Irgendein blondes Amateurmodel, das bei Heidi Klum nicht über die lokale Vorausscheidung in Dortmund hinauskam, wird sicher schon teilnehmen.

Das wird Ihr schnellster Marathon/Halbmarathon/xx-km-Lauf!

Was will der Leser unbedingt? Bestzeiten. Was will er definitiv nicht? Sich quälen. Also bieten wir entrümpelte Trainingspläne an.  Zaubern wir das olle Steffny-Buch hervor, ziehen in seinen Plänen 10 Prozent von den Längen ab und addieren 10 Prozent bei den Zeiten dazu, tauschen die Dienstags- mit der Donnerstags-Einheit – das merkt doch keiner.

Ein paar provokative Fragen machen  sich auch immer gut. Zum Beispiel: Müssen lange Läufe wirklich sein? Marathon-Vorbereitung in sechs Wochen? Schnell werden ohne Intervalle? Ist langsam das neue schnell? Und dann wird sich vier hübsch illustrierte Seiten lang um die Antwort gedrückt.

Der große Laufschuhtest!

Passt schon! Unseren härtesten Schnürtest aller Zeiten hat dieser Schuh bestanden.
Passt schon! Unseren härtesten Schnürtest aller Zeiten hat dieser Schuh bestanden.

53 Paar haben wir schon von unseren treusten Anzeigenkunden zusammengeschnorrt. Doch erst einmal kommt der Laufschuhentwickler der Firma XY zu Wort, dessen Produkt rein zufällig hinten auf dem Umschlag beworben wird, und stellt uns den Sinn der neusten Trends vor – wie wäre es mal mit Natural-Running-Schuhen mit natürlich aus Roter Bete hergestellten Farben, speziell geeignet für Trails auf ehemaligem Industriegelände im Mittelgebirgsbereich?

Es folgen die Tests von den schon erwähnten 53 Schuhen, vom leichten Renner über den Allzweckschuh bis zum pfundschweren Kloben für den vollschlanken Anfänger. Der konservative Leser kauft trotzdem eh immer seine Gel-Nimbus oder Wave Rider – also aufpassen, dass diese Klassiker auch klassisch gut benotet werden. Ansonsten empfiehlt sich eine inflationäre Verwendung des Zeichens + bis +++ bei den Eigenschaften der Treter. Ein Minus ergibt sich schon irgendwie, zum Beispiel bei der Marathontauglichkeit des Barfußschuhs.

Der Promi!

Mocki und diese, wie heißen sie denn nochmal, Marathon-Zwillinge geben immer hübsche Homestorys her, die zudem ihre Ausrüster (und unsere schon erwähnten Anzeigenkunden) sicher sehr gern lesen. Ein kerniger Kerl plaudert sicher auch gern über seine Träume von Olympia 2020, einem Treffen mit Usain Bolt oder einem abgeschlossenen Architekturstudium. Denn wo bekommen Leichtathleten denn sonst ein Forum? Im Fernsehen? Guter Witz – wann denn, wenn sieben Tage pro Woche 24 Stunden lang irgendwo ein Ball rollt?

Fit in die Saison!

Gut, dass die Kollegin häufiger im Fitnessstudio ist als in der Redaktion. So kann sie immer den allerheißesten Scheiß mitbringen. Sie kannte Zumba noch vor den Brasilianern, hat Pilates praktisch miterfunden und weiß genau, welche Muskelgruppen beim brandheißen 5,5-C-Workout besonders beansprucht werden. Und wenn es mal keinen neuen Trend gibt, setzen wir selbst welche. Irgendwo zwei Dörfer weiter war doch ein halb vergammelter Trimm-dich-Pfad, auf dem sich seit zwei Jahrzehnten höchstens die Waldfauna tummelt? Den besuchen wir doch mal mit ein paar Sportstudentinnen ohne Angst vor blaue Flecken und Moosabdrücken.

Die Reportagen!

Nun, wir lieben Extreme. Und daher werden unsere beiden Reportagen ungefähr soviel miteinander zu tun haben wie deutschen Marathonläufer des 21. Jahrhunderts mit der Weltspitze. Erst einmal kommt Uschi dran. Mümmelte immer nur fleißig Schokolade und nahm selbst für den Gang zum Klo ein Taxi, doch durch eine glückliche Fügung (der neue Freund, der nebenbei saarländischer Halbmarathon-Meister ist o.ä.) hat sie der Ehrgeiz gepackt. Sie isst jetzt gesund, walkt dreimal pro Monat und hat jetzt sogar ihren ersten 2,5-km-Lauf durchgehalten. Prima!

Die kleine Morgenrunde einmal quer durchs Hochgebirge - wer kennt sie nicht?
Die kleine Morgenrunde einmal quer durchs Hochgebirge – wer kennt sie nicht?

Es folgt Urs. 200-km-Läufe durch die Wüste oder Antarktis geben ihm keinen Kick mehr, den Transeuropalauf von Dänemark nach Gibraltar ist er neulich in einem Rutsch durchgerannt – langweilig. Jetzt aber ist er der erste Athlet, der innerhalb von nur 14 Tagen sämtliche 8000er der Welt sowie den Brocken und den Wilseder Berg hoch- und wieder runtergelaufen ist. Er berichtet uns haarklein von seinen Vorbereitungen, von seiner Ausrüstung (jedes Gramm ist Luxus), von seinen Träumen. Ein Triathlon auf dem Mond wäre fein, doch die Herrichtung der Schwimmstrecke ist noch zu klären.

Die Kochecke!

Nicht zu vernachlässigen ist der Prozentsatz der Läufer, die vor allem mit Messer und Gabel trainieren. Da denken wir gar nicht an die Asketen, die jedem überflüssigem Gramm Fett auf ihren Rippen den erbarmungslosen Kampf angesagt haben und sich höchstens zu Weihnachten zwei Haselnüsse auf einmal gönnen. Vielmehr müssen wir dem Genussmenschen mit schlechtem Gewissen helfen.

Letzten Monat stellten wir die tollsten Nudelrezepte (übersetzt von unserer Raumpflegerin aus einer bulgarischen Frauenzeitschrift) vor, jetzt müssen wir mal wieder Low Carb als oberstes Gesetz verkünden. Und dann gibt es „die Vitaminlüge“ aufzuklären, denn… Moment mal, da gab’s gerade einen Anruf aus der Anzeigenabteilung. Dort hätte man gern eine Story mit dem Arbeitstitel „Diese Vitamine machen sie wirklich schnell“. Wenn’s sein muss.

Bunt durch den Frühling/Sommer/Herbst/Winter!

Das Oberteil für 129 Euro kauft doch kein Mensch - bis er diese hübschen Fotos sieht...
Das Oberteil für 129 Euro kauft doch kein Mensch – bis er diese hübschen Fotos sieht…

Irgendwie muss sich unsere neue Praktikantin, die Nichte vom Chefredakteur oder so, doch nützlich machen? Sie kann keine zwei Sätze geradeaus schreiben und läuft keine 800 Meter, ohne dreimal per iPhone ihren Status durchgegeben zu haben. Aber im aktuellen Lauffummel macht Chantalle doch eine tolle Figur!

Also schnell mal eine Fotstrecke mit ihr im Stadtwald organisieren, ein paar launige Textfetzen dazu („so machen Sie dem Winter Beine“) – und gefüllt sind zehn Seiten, die insbesondere die Inserenten sehr erfreuen. Und im nächsten Monat sind die Männerklamotten dran. Sollten wir nicht mal den Fahrradkurier mit den strammen Waden, der alle paar Tage bei uns die Post vorbeibringt, ansprechen?

Etwas Exotisches!

Die Kochsendungen boomen, weil sich alle im Prinzip nur Fast Food gönnen. Pfarrer-Filme hatten im Fernsehen Hochkonjunktur, als sich wirklich keine Seele mehr in eine echte Kirche traute. Nach Ersatzerlebnissen lechzt auch die Laufgemeinde. Stellen wir also in allen Facetten zum Beispiel den Auckland-Marathon vor oder die Bezirksmeisterschaften der mexikanischen Indios im 77-km-durch-den-Dschungel-rennen, natürlich mit allen Schikanen wie Anmeldeadresse, Wissenswertes zum Verstauen der Kleiderbeutel und zwei bis drei Tipps für günstige Übernachtungsmöglichkeiten oder die beste Bar am Platz. Natürlich wird jeder Leser von diesen Zielen träumen, aber keiner wirklich dort hinfahren. Sollten wir zumindest hoffen, denn dann würde der Mensch ja merken, dass alle Infos aus dem seit 2004 nicht mehr aktualisierten Wikipedia-Beitrag stammen.

Zum Rauswurf etwas Lustiges!

Das RTL-2-Prinzip: Jeder Zuschauer, auch wenn er auf der Karriereleiter des Lebens schon an der ersten Sprosse gescheitert ist, kann sich an Leuten ergötzen, die noch tiefer stehen. Ähnlich funktioniert die Läufer-Glosse. Irgendein Kerl, der sich mindestens für den südwestdeutschen Haile Gebrselassie hält, scheitert grandios bei einem 5-km-Waldlauf in Posemuckel, weil er sich schon vor dem Start drei Siegerbier mit Eisbein geleistet hat und außerdem viel zu schnell losgeflitzt ist. Das alles erzählt er mit so viel Augenzwinkern, als sei er gerade im schwedischen Hochsommer unbebrillt in einen riesigen Mückenschwarm geraten.

Dieser Held macht Monat für Monat alles falsch, was man nur falsch machen kann, wird wie Charlie Brown dem rothaarigen Mädchen immer nur hinterherlaufen, sie aber niemals kennenlernen – geschweige denn überholen. Aber er wird uns immer zum Lachen bringen, zumindest eineinhalb Folgen lang.

Fotos: fotolia (4), eliterunning.de

5 Gedanken zu “Nicht noch ein Laufmagazin!

  1. Schon fast Perfekt. Mir fehlt noch die Kategorie „Lauf-Wetter“ mit einer 7 Wochen Vorschau, natürlich Stundengenau. Soll ja vorkommen, dass man plötzlich beim laufen in Regen kommt. Dies sollte ein gutes Laufmagazin zu verhindern wissen.

  2. Ich habe selten so gelacht. Bravo!
    Fun Fact: Vor drei Wochen kaufte ich mir seit vielen Jahren mal wieder eines der berüchtigten Magazine – wahrscheinlich eine Übersprunghandlung durch Übermotivation – und als ich durch war, dachte ich: Da steht ja immer noch die gleiche Sch… wie vor zehn Jahren drin. So eine Art „Apotheken-Rundschau“ für Läufer. Ändert sich wohl nie.

  3. Dies ist so ungefähr mein erstes Laufblog, in dem ich stöbere. Als totaler Anfänger freue ich mich, dass ich an Sylvester meinen ersten Lauf „in Gesellschaft“ absolviert habe und ansonsten, wenn ich mich nicht im Wald verirre. Gleichzeitig erkenne ich eine Zeitschrift wieder, die – verdächtig günstig – dennoch sehr informativ war für mich.

    Wäre ich ambitioniert und würde ich nicht nur zum Spass laufen, dann würde mich diese „Alles Scheisse“-Attitüde aus dem Artikel jetzt direkt wieder vor den Fernseher treiben. Es ist ja sowieso alles verkehrt.. also wieso überhaupt laufen, wenn man es nach einer Laufzeitschrift tut, deren Artikel sowieso „totaler Mist“ sind.

    Fand ich jetzt nicht so toll.^^

    1. Alles Scheiße – nein, diesen Eindruck wollte ich wirklich nicht erzeugen. Und als Allerletztes möchte ich mich über irgendjemanden lustig machen. Meine ersten Schritte sind auch noch nicht sooo lange her. Ich kann mich noch gut an die Phase erinnern, als ich für jeden Tipp dankbar war und als ich eine bekannte Laufzeitschrift sogar abonniert hatte. Was ich nur in diesem Blog mit dem Mittel der Ironie sagen wollte: Die Inhalte der Zeitschriften wiederholen sich doch sehr, und doch werden immer wieder neue Geheimnisse entdeckt – mich erinnert es ein bisschen an die Brigitte, die ihren Leserinnen jedes Jahr aufs Neue eine Superdiät anbietet. Dazu müssen natürlich ständig neue Schuhe, Klamotten, Uhren usw. zum Thema gemacht werden, damit der Anzeigenverkauf läuft. Mittlerweile denke ich, dass ein gutes Laufbuch zigmal besser als mehrere Jahrgänge von den Zeitschriften für Spaß am Laufen sorgen kann, ob man es nun wettkampf-, gesundheits- oder spaßorientiert betreibt. Und vor allem: Gerade Anfänger sollten es sich beim Laufen so einfach wie möglich machen, die brauchen, wenn sie halbwegs gesund sind, keine Pulsuhr, keine Jacke für 200 Euro und erst recht keine Nahrungsergänzungsmittel und ähnlichen Schnickschnack. Aber in manchen Laufzeitschriften entsteht ein ganz anderer Eindruck…

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