Woran denkt der Mensch jenseits von Nordostniedersachsen, wenn er an Lüneburg denkt? Richtig, an die Heide. Dabei muss der Lüneburger selbst erst einmal gut eine halbe Stunde Auto fahren, ehe er das Heidekraut in freier Natur erblicken kann. Doch Mitte August zieht es auch den gemeinen Lüneburger Läufer in die Heide, zum Lauf zum den Heideköniginnenpokal des MTV Amelinghausen, liebevoll auch „Heipo“ genannt. Ich habe zwar wieder einmal weder Heidekraut noch Heidekönigin erblickt und ging, was viel schlimmer war, auch am Kuchenbüffet leer aus. Erfahrungen habe ich aber einmal mehr reichlich gesammelt.
Der zirka 9 Kilometer lange Heipo besteht im Prinzip aus zwei Etappen. Erst führt die Strecke wie bei einem gewöhnlichen Volkslauf über Felder, durch Wälder und am Lopausee vorbei, doch auf den letzten 700 Metern spielen wir Läufer das Vorprogramm für den großen Festumzug in Amelinghausen. Tausende feiern die Sieger. Wer im geschlagenen Feld ankommt, der bekommt allenfalls höflichen Applaus – wir sind schließlich die Leute, die daran schuld sind, dass der Umzug noch nicht in Gang kommt.
Doch vor dem Schaulaufen auf der Lüneburger Straße wartet auf uns eine laut Ausschreibung „sehr anspruchsvolle Strecke“. Einer der Cracks lacht sich vorm Start kringelig: „Sehr anspruchsvoll? Das ist ein kleiner Berg, und dann geht’s wieder runter.“ Mir vergeht das Lachen allerdings recht schnell. Der eine kleine Berg zieht sich hin bis Kilometer 4. Erst wird’s steil, dann wieder flach, dann wieder steil. Und ich Trottel, der im nächsten Jahr unbedingt beim Hermannslauf den Teutoburger Wald durchschreiten will, mache schon an diesem Hügelchen schlapp.
Nach gut 4,5 Kilometern folgen der Wasserstand und die Erkenntnis: Ich laufe hier zwar mit 239 anderen Frauen und Männern, aber niemand läuft mein Tempo. Zwei Männer ziehen lockeren Schritts an mir vorbei, unterhalten sich dabei noch angeregt – Höchststrafe für mich. Der eine läuft zudem noch Reklame für unseren Mitbewerber im heiß umkämpften Markt der Lüneburger Sportportale, der andere trägt die durchaus sympathische Parole „Lieber tot als Schwung verlieren“. Das Duo kann ich nicht halten, aber wenigstens scheine ich endlich mein Tempo gefunden zu haben.
Amelinghausen naht – und in meinem Rücken naht ein Konkurrent, der noch ein bisschen lauter schnauft als ich. Am letzten kleinen Anstieg ist er nicht mehr zu hören, ein paar Schritte später doch wieder. Umdrehen ist jetzt keine Option. Ich biege auf die Lüneburger Straße, das Schnaufen kommt näher und näher. Ich beschleunige tatsächlich ein bisschen, das Schnaufen wird auch schneller. „Pass auf, hinter dir!“, brüllt eine Zuschauerin – es wird wohl Mikes Liebste Gaby gewesen sein. Das gehört sich doch nicht, auf der Zielgeraden noch Überholversuche zu starten? Denkt zumindest derjenige, der von einem Hintermann bedroht wird.
Gut drei Sekunden Vorsprung rette ich ins Ziel. Uff. Ich wringe mein klatschnass geschwitztes Shirt aus, schleppe mich zum Getränkestand und saufe Tee- und Wasserbecher im Dutzend leer. Hoffentlich ist bald wieder Wintervolkslauf-Saison.
Foto: Gaby Bitthöfer